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"Kommen auch Tiere in den Himmel?"

Predigt zu Römer 8,18-25 

 

(Übersetzung nach Martin Luther,  Ausgabe 1985)

18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. 20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; 21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.

23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. 24 Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? 25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.

 

I

 

Liebe Gemeinde

 

„Kommen auch Tiere in den Himmel?“ - so fragte einmal ein Konfirmand auf einer Konfirmandenfreizeit. Ich war damals als frischgebackene Studentin zur Begleitung dabei und weiß noch genau, dass ich die Antwort einer anderen Mitarbeiterin überlassen habe, während ich selbst noch sehr an dieser Frage herumhirnte.

 

Dieser Jugendliche aber hat etwas davon gespürt, dass die Erlösung nicht vollständig wäre, würde sie nur für den Menschen gelten. Vielleicht suchte er Gewissheit, dass auch sein geliebtes Haustier in Gottes Fürsorge einbezogen ist. Und wer selbst ein Haustier hat, kann diesen Wunsch verstehen und nachvollziehen.

 

Als unsere Kinder später einmal untröstlich waren, beim Tod eines süßen, kleinen Kaninchen, habe ich ihnen ein Bild vor Augen gemalt von einem Himmel, in dem die Kaninchen auf einer großen Wiese hüpfen ohne Zaun, ohne Gitter, 

dass sie keine Schmerzen mehr haben und keine Angst vor Gefahren und dass sie nicht mehr zur Beute werden können für andere Tiere.

 

Obwohl wir ja nicht sehen können, wie es aussieht im Himmel, 

hirnte ich nicht mehr herum, ob ich das so sagen kann. 

Jetzt wusste ich es besser: Wir brauchen solche Bilder der Hoffnung, die uns trösten können. Wir brauchen Hoffnungsbilder gegen Bilder der Angst, 

Hoffnungsbilder gegen die Bilder von Tod und Leiden, denen wir im Leben begegnen.

 

Solange wir leben, ist es immer wieder die Hoffnung, die uns trägt,

der Motor, der uns antreibt und verhindert, dass wir resignieren.

Solange wir hoffen, geben wir nicht auf.

Solange wir hoffen, kämpfen wir und setzen uns dafür ein, 

dass eine Situation anders wird.

Solange wir auch für andere Menschen und die ganze Schöpfung hoffen,

setzen wir uns auch für sie ein und geben sie nicht auf.

Doch wenn ich gesund bin, ein gesichertes Einkommen, Familie und Freunde habe, 

die mich unterstützen, brauche ich dann Hoffnung?

 

Andererseits tragen wir doch alle auch diese Unsicherheit in uns:

Ich weiß nie wie lange das Glück dauert, das ich gerade empfinde.

Unsere Hoffnungen können sich erfüllen. 

Sie können aber auch enttäuscht werden.

Wir geraten an die Grenzen unseres Lebens und spüren: 

Wir sind sterblich. Wir sind vergänglich.

 

II

 

„Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.“ Auf diesen Nenner bringt Paulus, ohne zu beschönigen den Zustand von Mensch und Kreatur. 

 

Der Mensch und mit ihm die ganze Schöpfung stehen in einer Schicksalsgemeinschaft.

Das Fernsehen malt uns die großen Augen und die aufgequollenen Bäuche der hungernden Kinder vor Augen. Wir wollen solche Bilder am liebsten ausblenden, können sie nur begrenzt ertragen. 

Wir wissen um das Seufzen von Schwerkranken und um das Stöhnen der Schmerzgeplagten. Wie hart ist das, wenn es uns selbst oder unsere Liebsten trifft!

 

Wir sehen die Bilder leidender Tiere, das Elend der Hennen in den Legebatterien, die Angst der Rinder und Schweine in den Schlachthöfen und es gibt auch die leiseren Töne, wenn eine Amselmutter zusehen muss wie auf dem benachbarten Baum eine Katze ihre Jungen frisst. 

 

Wir wissen mehr denn je, dass wir Menschen nicht alleine stehen auf der Welt, sondern mit Pflanzen und Tieren, mit Wasser und Luft, mit Sonne, Mond und Sternen eingebettet sind in die Schöpfung.

 

Und wir wissen heute vermutlich noch besser als Paulus, wie sehr der Umgang von uns Menschen mit der Schöpfung uns alle betrifft und wie die Natur zurückschlägt, wenn wir unverantwortlich mit unseren Ressourcen umgehen. Biologische und chemische Zusammenhänge werden so differenziert beleuchtet wie noch nie. 

 

Und doch, trotz allen Wissens und aller Einsichten spüren wir auch: 

Wir sind geknechtet und verwoben in die Abläufe und Strukturen unserer Welt.

Wir wissen so  Vieles, können so viel lernen aus der Geschichte, 

und doch fällt es schwer, diese Einsichten umzusetzen, damit unsere Welt friedlicher und gerechter wird. Es gibt selten einfache Lösungen, ohne neue Probleme zu produzieren.

 

III

 

Mitten hinein in diesen scheinbar so festgezurrten Knoten von Unerlöstheit und Leiden spricht Paulus Worte der Hoffnung. 

 

„Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“

 

Zynisch und hart könnten diese Worte klingen für einen vom Schicksal schwer getroffenen Menschen. 

 

Wenn wir heute am Volkstrauertag auch denken an die Millionen von Toten, die die Weltkriege gefordert haben, wenn wir Berichte hören von den unvorstellbaren Gräuel, die die Kriege damals und die Kriege heute für viele Menschen mit sich bringen, dann wäre es geradezu überheblich, wollten wir jene Menschen verurteilen, denen auch die letzten Bilder der Hoffnung abhanden gekommen sind. Es gibt Situationen, in denen auch der Glaube an den rettenden und erlösenden Gott verschwindet. Da richtet sich das Sehnen auf den Tod. Da erscheint der Tod als derjenige, der befreien kann von den Qualen des Körpers und den grauenvollen Bildern, die die Seele zerstören.

 

Wir können das Leiden, das wir sehen, nicht gegen eine zukünftige Herrlichkeit aufwiegen! Auf diese Weise würden wir Paulus missverstehen.

Denn gibt es eine Waage, die das Übermaß der Herrlichkeit Gottes wiegen könnte?

So eine Waage haben wir nicht.

Wenn wirklich ins Gewicht fällt, was Gott verheißen hat, bricht die Waage zusammen.

Im Lichte Gottes ist es deshalb auch nicht mehr möglich, das Leid unserer Welt aufzuwiegen, das oft unendlich schwer wiegt für viele Menschen. (1)

 

Paulus macht uns ja gerade aufmerksam auf das Seufzen und Stöhnen von Mensch und Tier, das oft aus tiefstem Herzen kommt und nicht beiseite gedrängt werden darf, sondern ausgesprochen und gehört werden will.

Er macht uns sensibel für uns selbst, für unsere Mitmenschen und Mitgeschöpfe

und für unsere Sehnsucht nach Heil und Befreiung.

IV

 

„Das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden.“ (V 19) 

 

Hinter diesem ängstlichen Harren steckt ein Wort, das die Haltung eines Tieres beschreibt, das seinen Kopf nach vorne streckt.  

Die Hoffnung der geschundenen Kreatur richtet sich auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Das klingt so, als würden sie ihre Köpfe an die Gitterstäbe ihrer Käfige drücken und rufen: Hoffentlich geschieht es bald, dass man euch Menschen auch ansieht, was ihr seid: Kinder Gottes. Hoffentlich geschieht es bald, dass das, was ihr seid, nicht mehr verborgen bleibt sondern auch bei uns ankommt.

 

Denn dann, wenn das geschieht, dann wird es nicht mehr möglich sein, Tiere zu quälen, Wasser und Luft zu vergiften. Dann wird es nicht mehr möglich sein, die Natur auszubeuten und die Mitmenschen dem Profit zu opfern. Dann wird es nicht mehr möglich sein, dass Menschen einander Gewalt antun und in blutigen Kriegen einander abschlachten.

 

Dann wird die ganze Schöpfung frei werden von den Fesseln der Angst und des Leidens und des Todes. Da wird das Kaninchen auf der Wiese hüpfen und der Vogel singen ohne Angst vor der Katze. Da wird das Schreien der Gequälten in Singen und Lachen und das Stöhnen und Seufzen  in einen Lobpreis Gottes verwandelt. Wir werden erscheinen als die, die wir sind: Kinder Gottes, die einen Vater im Himmel haben, der uns selbst die Tränen abwischt von unseren Augen und der uns tröstet wie eine Mutter ihre Kinder. Da begegnet uns Gott in seiner Größe und Macht und zugleich in seiner unendlichen Güte, die heilt, was zerbrochen ist, die gut macht, was verletzt ist, die umhüllt, was unfassbar ist, die neu macht, was dem Tod verfallen ist. Da ist die Sehnsucht von Mensch und aller Kreatur endgültig gestillt und unsere Tränen erscheinen so wenig wie ein paar Tropfen im großen Meer. Dann, aber erst dann, wird das so sein.

Bis dahin aber stehen wir noch in diesem Leben.

 

V

 

Sofort schwenkt auch Paulus seinen Blick wieder auf diese Welt und ihre Realitäten:

 

„Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes“.  So ist es.

 

Wehenschmerzen sind heftig. 

Eine Geburt ist ein Vorgang auf Leben und Tod und kann sich unerträglich in die Länge ziehen. Erst, wenn das neue Leben da ist, ist der Schmerz vergangen. Vorher nicht. Vorher stöhnen wir und sehen dieses Leben noch nicht.

 

Paulus sagt: 

Gottes Geist ist eine Erstlingsgabe, also wie ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt.

Das erinnert uns an die Kostproben, die wir in der der Küche abbekamen, 

wenn wir als Kinder vom Teig schlecken konnten. 

 

Und ist nicht jede selbstvergessene Minute, in der ich mich freuen kann,

jede unbeschwerte Fröhlichkeit, jedes befreite Lachen, 

jede Geburt eines Kindes, jede Versöhnung nach einem Streit, 

jede Dankbarkeit, die mir geschenkt wird, 

jeder Moment, von dem ich mir wünsche, er würde nie vergehen, 

wie solch ein Vorgeschmack, die meine Sehnsucht weckt nach dem Ganzen?

 

Und andererseits - angesichts mancher Not,

spüren wir manchmal nur unsere Ohnmacht, 

und schmecken wie hart das Leben sein kann.

Dass wir Kinder Gottes sind, ist nicht zuletzt uns selbst oft verborgen

wie das Kind verborgen im Leib seiner Mutter, die in Wehen liegt.

Bis zum Schluss unseres Textes stellt uns Paulus immer wieder hinein mitten in unsere Welt. Deshalb will ich es jetzt auch nochmals tun.

 

„Präsident der Vergessenen“ so titulierte die Stuttgarter Zeitung diese Woche den Wahlausgang in den USA. Und dieses ganze Wahldebakel der letzten Monate zeigt doch, dass wir Menschen bereits jetzt schon mit unseren Ängsten und Themen ernst genommen und gehört werden wollen, von der Politik, von den Medien und nicht zuletzt von den Kirchen, sonst treiben wir nicht nur in den USA sondern in ganz Europa falschen Propheten in die Arme, die uns doch nicht helfen können und neue Unfreiheit produzieren, indem sie alle Glückserwartungen der Menschen auf ihre Person konzentrieren und dann die Menschen doch wieder enttäuschen.

VI

 

„Wir sind gerettet - doch auf Hoffnung“ 

 

Hoffnung haben heißt nicht die Leiden, die mich treffen können, weniger zu spüren, weniger Schmerzen, weniger Zweifel zu haben.

 

Hoffnung haben heißt: 

Ich übernehme Verantwortung für mein Leben trotz alledem.

Ich lebe als Kind Gottes - jetzt schon. 

Verborgen, versteckt im Gewirr unserer Welt und unseres Lebens ist dieses Kind.

Der Platz wird eng, es strampelt und sucht Freiheit und muss doch warten und Geduld haben,  bis die Zeit für die Geburt gekommen ist - ein Bild für unser Leben.

 

Aber weil wir doch auch schon sind, was verborgen ist, 

bringen wir alle Not, alle Enge, und unseren anfälligen Glauben vor Gott.

Weil wir doch bereits Kinder Gottes sind, seufzen und hoffen wir auf Gott hin.

 

Und mitten in den Bildern des Leidens,

erhoffen und erglauben wir das neue Leben, 

das unsere ganze Welt mit all ihren Rätseln und Widersprüchen erfassen will,

sehen wir schon die grüne Wiese und das Lachen des weinenden Kindes im Geiste vor uns.

 

In den Bildern des Leidens sehen wir die ausgestreckten Köpfe und Herzen, 

die auf Erlösung warten, hören wir die Hilferufe der Bedrückten und bringen Zeichen solcher Hoffnung in die Lager der Hungernden und Flüchtlinge durch Nahrung und Medikamente,

in die Herzen der Trostlosen durch unser Dasein und oft durch ein stilles Gebet.

 

Mitten in unserer Vergänglichkeit rufen deshalb auch unsere Kirchen 

auf zum Stopp von Waffenexporten, die so viel Krieg und Not über uns bringen,

und hören nicht auf, auf Jesus Christus hinzuweisen,

der uns wie kein anderer Mut gemacht hat zu Gewaltlosigkeit und Versöhnung.

 

Wenn wir jetzt das Abendmahl miteinander feiern,

ist das auch so ein Vorgeschmack auf das neue Leben:

Ein kleiner Bissen Brot, ein kleiner Schluck Wein -

unsere Gemeinschaft in der Gegenwart des auferstandenen Christus

will uns stärken in dieser Hoffnung, die wir in die Welt tragen.

Durch Jesus Christus ist unsere Hoffnung auf der Erde verwurzelt und hat festen Grund.

 

Vor seinem Tod feiert er das Abendmahl,

Er lädt ein zum Mahl, das sein Volk an die Befreiung aus der Knechtschaft und Versklavung erinnert.

 

Er weiß, sein Vater im Himmel wird nicht aufhören zu retten und zu befreien.

Er ist der Erstling, der aus der Vergänglichkeit gerettet wurde, 

deshalb bringt er Hoffnung für die ganze Welt und für alle Menschen.

 

Mitten in der Vergänglichkeit singen wir deshalb auch unsere Loblieder und preisen Gott. 

 

Amen

 

EG  229: Kommt mit Gaben und Lobgesang

 

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(1) Formulierung und Gedankengang dieses Abschnitts lehnen sich an an die Auslegung von Gerhard Sauter in: Calwer Predigthilfen 1997/1998 Reihe II/2, S. 205- 212

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