Begegnung auf dem Berg
Predigt zu Matthäus 28,16-20
Übersetzung nach Martin Luther Ausgabe 1985
Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte.
Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.
Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
I
Liebe Gemeinde
Diese letzte Szene des Matthäusevangeliums spielt auf einem Berg.
Die Berge in der Bibel sind oft Orte, an denen die Menschen wieder besonders die Nähe Gottes erfahren. Auf einem Berg lehrt Jesus seine Jünger, denken wir an die Bergpredigt.
Jesus steigt auf Berge, um mit Gott allein zu sein, um zu beten. Auf dem Berg der Versuchung muss er einen einsamen Kampf ausfechten. Alle Schätze und alle Macht dieser Welt hätte er haben können, wenn er seinen Weg verraten hätte.
Einen einsamen Kampf muss er deshalb auch später am Kreuz ausfechten,
weil er der Versuchung nach weltlicher Macht nicht nachgegeben hat.
Und nun bestellt Jesus seine Jünger wieder auf einen Berg
11 Jünger sind es nur noch, die den Aufstieg auf sich nehmen.
Die Ereignisse der vergangenen Zeit brennen ihnen noch auf der Seele.
Einer ist nicht mehr dabei: Judas, der Jesus verraten hat.
Sie haben den Verrat erlebt und ihre eigene angstbesetzte Flucht
vermutlich noch nicht wirklich verdaut. Sie haben erlebt, als er ausgeliefert war
an die Gewalt und Brutalität der römischen Soldaten, ohne Macht und aller Würde beraubt.
und sie haben die Nachricht der Frauen gehört, er sei auferstanden.
Nun gehorchen sie seinem Ruf auf den Berg. Dort oben wollen sie dem Auferstandenen begegnen.
„Sie sehen ihn“, heißt es im Text. Sie fallen vor ihm nieder. Sie beten ihn an.
Einige aber zweifeln: Wir wissen wohl, du lebst, aber du gehst doch wieder zurück zu deinem himmlischen Vater. Wir sehen wohl, du hast den Tod überwunden.
Aber wie soll das weitergehen mit uns? Wir müssen doch auch wieder runter vom Berg.
Und dann bist du nicht mehr da, dort unten, wo wir dich am nötigsten brauchen!
Und dort unten, haben wir ja nichts in der Hand, was uns Sicherheit gibt.
Auf unserer Welt sieht es doch so aus, als wärst du gescheitert.
Zwischen Anbetung und Zweifel spielt sich das Leben der ersten Christen ab
und oft auch unser Leben. Angst und Vertrauen, Mutlosigkeit und Hoffnung,
Loblieder und Klagepsalmen liegen doch oft so nah beieinander.
Das Sehen des Auferstandenen reicht offensichtlich nicht.
Es braucht ein inneres Sehen des Herzens, so dass wir ihm vertrauen und seinem Weg auch nachfolgen können.
Und Jesus? Was macht er auf diesem Berg? „Jesus trat zu ihnen“ heißt es im Text.
Er macht das, was er schon immer getan hat: er sucht die Nähe der Menschen.
Er spricht mit ihnen. Er spricht mit uns.
Doch manchmal brauchen wir dafür auch so einen Berg,
auf den wir uns zurückziehen können, damit uns seine Worte wieder erreichen können.
Manchmal brauchen wir den Abstand vom Trubel unseres Alltags
damit uns Ziel und Richtung unseres Lebens wieder klar werden.
II
Das erste, was Jesus aber sagt, ist nicht: Geht runter vom Berg. Ich brauche euch dringend da unten. Ihr sollt alle Menschen zu Jüngern machen. Er gibt ihnen nicht einfach seinen Auftrag und schickt sie dann ins Getümmel. Das erste, was er sagt ist:
„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“
Und das letzte, was er sagt ist nicht: Strengt euch an. Ich will Ergebnisse sehen.
Das letzte, was er sagt ist: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Jesus weiß es genau:
Seine Nachfolgerinnen und Nachfolger geraten auf ihrem Weg immer wieder in Situationen der Ohnmacht und des Zweifels. Und wenn man auf das kleine Häuflein der 11 Jünger blickt,
die ihn zum Schluss alle verlassen haben und geflohen sind, kann man tatsächlich fragen: Wie soll das gehen? Das müsste ihn doch eigentlich abschrecken.
Und wenn man auf die Kirchengeschichte blickt, mit all dem Machtmissbrauch, der im Namen Gottes schon getrieben wurde, ohne dass die Menschen je etwas von seiner Liebe und Zuwendung gespürt haben, dann scheint Jesu Auftrag im Gegensatz zu der harten Realität auf unserer Welt zu stehen.
Es ist deshalb so unsagbar wichtig, dass Jesus seinen Blick zuerst auf sich selbst lenkt.
Es ist so unsagbar wichtig, dass unser Tun in seinen Zuspruch gebettet ist.
Es ist so unsagbar wichtig, dass sich unser Tun an ihm und seinem Weg orientiert.
Sonst kann so eine Aufgabe heillose Überforderung und Resignation auslösen oder auch unsinnigen Aktionismus. Im schlimmsten Fall aber will man dann Glauben von den anderen Menschen erzwingen und zwar genau so, wie man sich das selber vorgestellt hat, notfalls auch mit Gewalt.
Jesus sagt uns deshalb zuerst:
Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden.
Er sagt uns:
All euer Fragen, ob es sich denn auch lohne, was wir hier tun, all euer Einsatz in den Gruppen und Kreisen, in den Gottesdiensten, in der Nachbarschaftshilfe in der Diakonie und wo auch immer, all das ist eingebettet und getragen von mir selbst.
Alles, was ihr hier unten tut in meinem Namen, oft erscheint es bruchstückhaft und wenig, aber es steht unter meiner Verheißung.
Eure Aufgabe ist es, meinen Weg in der Welt nachzugehen und das zu leben, was ich euch gelehrt habe. Das ist eure Verantwortung. Alles andere aber, ob das denn auch was bringt. Dafür müsst ihr nicht gerade stehen. Das ist nicht euer Job. Dafür stehe ich selber ein. mit meinem Leben, mit meinem Sterben, mit meiner Auferstehung. Euer Ziel sind die Menschen unten im Tal. Euer Ziel sind alle Menschen dieser Welt, von denen niemand ausgeschlossen werden soll.
Die Jünger sind vom Berg herunter gestiegen. Die einen, obwohl sie vielleicht lieber in der Anbetung geblieben wären. Die anderen, obwohl da doch der Zweifel war. Und sie haben das Undenkbare geschafft. Das Evangelium ging durch die Welt, sonst würden wir doch heute keinen Gottesdienst feiern können.
III
Aber wie sieht das denn nun aus bei uns? Es kann doch nicht jeder Pfarrer oder Missionarin werden. Wie sieht das aus für die Männer und Frauen, die morgen früh wieder zur Arbeit müssen? Wie sieht das aus für die Schülerinnen und Schüler? Wie werden denn Menschen zu Jüngerinnen und Jüngern Jesu?
Hinter dem Wort „Jünger“ steckt in der Antike der Gedanke von Schülern, die ihrem Meister anhängen. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu sind Menschen, die so reden und handeln wie sie es bei Jesus gelernt haben. Bei uns im weltlichen Ausbildungsverhältnis, gibt es auch Meister und Lehrlinge. Aber da will man nicht ein Leben lang Lehrling bleiben.
Da will man auch mal selber Chef sein. Davor muss man auch viel lernen und Prüfungen ablegen. Aber bei Jesus geht es nicht um Prüfungen und Noten wie in der Schule. Da geht es nicht um Vokabeln pauken und Formeln lernen. Da geht es immer wieder darum, seinen Weg gehen zu lernen.
Bei Jesus lernen wir: Er begegnet den Menschen von Mensch zu Mensch
und bringt sie mit der Liebe Gottes in Kontakt. Er gibt niemanden auf:
Er kehrt ein bei den Zolleinnehmern, die alle verachtet haben.
Er spricht mit der Frau die gesteinigt werden sollte,
Er betet für seine Feinde, die ihn im Namen Gottes ans Messer geliefert haben.
Er würde stehen bleiben bei denen, die von anderen fertig gemacht werden
und ihnen seine Freundschaft anbieten. Und der kleine Lehrling würde ihm ebenso am Herzen liegen wie der große Chef. Alle sind ihm wichtig. Alle sollen sie Gottes Liebe vertrauen und nach seinem Willen leben lernen. Das ist sein Ziel.
Bei ihm lernen wir: Nicht besserwisserisch die Menschen beeindrucken wollen
Nicht mit Druck und Zwang unseren Glauben überstülpen zu wollen.
Er traut uns zu, mit offenem Herzen unseren Mitmenschen zu begegnen und Anteil zu nehmen an ihrem Leben. Er traut uns zu, auf Augenhöhe den Menschen zu begegnen
mit Achtung und Respekt vor ihrem Leben und vor ihren Erfahrungen.
Bei ihm lernen die Jüngerinnen und Jünger, sich nicht voreinander als Meister aufzuspielen.
„Wer ist der Größte unter uns?“ haben ja die Jünger schon zu Jesu Lebzeiten gefragt.
Aber bei ihm lernen wir, immer wieder auf ihn bezogen zu bleiben.
Bei ihm lernen wir: Er braucht sie alle. Die Anbetenden und die Zweifelnden.
Wir brauchen deshalb nicht ängstlich fragen, ob wir gut genug sind, um seine Jüngerinnen und Jünger zu sein. Jeder und jede darf ihm nachfolgen mit den Möglichkeiten,
die ihm oder ihr gegeben sind und gewiss sein: Jeder noch so kleine Baustein ist wichtig und steht unter seinem Segen.
Keiner soll sagen müssen: Ich werde nicht gebraucht. Keine soll denken: Ich bin nicht geeignet. Mein Glaube ist zu schwach. Meine Liebe ist zu klein.
Wir sollen sehen lernen: Seine Liebe ist nicht zu klein.
Seine Macht ist groß genug um uns immer wieder neu zu vertrauen.
Er traut uns oft viel mehr zu als wir selbst uns manchmal zutrauen.
Er lässt sich deshalb auch nicht abschrecken von unseren menschlichen Grenzen,
von Schuld oder Zweifel oder Verrat. Er sagt uns vielmehr:
Ich halte mein Versprechen und lasse euch niemals fallen.
Wo wir den Eindruck haben: Alles bringt nichts! Alles vergeblich!
Die Mächte dieser Welt sind so viel stärker. Da sagt er: Bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Demjenigen, der scheinbar gescheitert ist, hat Gott gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. Menschliche Gewalt wollte mich zum Schweigen bringen,
aber Gottes Macht bewirkt, dass ich rede bis heute – durch euch, immer wieder!
IV
Bei jeder Taufe hören wir es: Wir gehören zu ihm, in seinen Machtbereich.
„Wir sind mit ihm in den Tod getauft“, haben wir bei der Lesung aus dem Römerbrief vorhin gehört. Bei Taufriten, in denen der Täufling noch ganz unter das Wasser getaucht wird,
wird das besonders deutlich: Das Untertauchen ist ein Zeichen für den Tod.
Das Wasser geht über den Täufling hinweg. Ein Sinnbild dafür, dass diese Welt noch gewaltige Macht hat, ein Sinnbild für alles, was uns kaputt machen und zerstören will.
Ein Sinnbild für alle Abgründe und Gefährdungen, denen wir ausgesetzt sind.
Aber der Täufling wird festgehalten bei der Taufe. Er wird durchgetragen durch das Wasser.
Das kleine Kind, das Baby wird gehalten. Es muss sich nicht selber halten.
Es wird ihm zugesagt: Alles, was dir schaden, dich zerstören und kaputt machen will,
soll keine Macht mehr haben über dich.
Jesus sagt uns: Du, du gehörst zu mir.
Du sollst leben als freier Mensch, jeden Tag wieder neu meinen Weg nachgehen.
Du gehörst zu deinem Gott, der alle deine Wege mitgeht, auch durch die Fluten hindurch,
die manchmal im Leben über dich hinweggehen. Oft hören wir deshalb auch den Wochenspruch als Taufspruch: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst,
ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“
Das ist die Botschaft, die alle Menschen hören und erfahren sollen.
Und manchmal, wenn es unten im Tal zu unruhig ist, wenn das Leben uns drückt,
müssen wir wieder mit schwerem Gepäck auf den Berg steigen,
müssen wir in der Stille wieder lernen was er zu uns sagt:
Oben auf dem Berg hören wir den Zuspruch, der uns wie ein Lichtstrahl auf diesem Weg begleitet: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Amen