Ungeschminkt glauben
Predigt zu Matthäus 8,5-13 3. Sonntag nach Epiphanias 2022
I
„Amerika ungeschminkt“ - so lautet der Titel einer Dokumentation von Markus Lanz,
die am 4. Januar im ZDF ausgestrahlt wurde.
Seine Reise führte ihn nach New York, San Francisco und Atlanta.
Er spricht u. a. mit Politik- und Geschichtswissenschaftlern,
einem Journalisten und Buchautor,
und er fragt die Menschen auf der Straße nach ihren Wünschen, Träumen und Ängsten.
Die sozialen Unterschiede sind extrem.
In San Francisco beträgt das Bruttoinlandsprodukt die riesige Summe von 500 Mrd $,
gleichzeitig brechen in der Mittelschicht die Jobs weg
und Menschen werden obdachlos.
Hautfarbe, Ethnie, Herkunft und Geschlecht entscheiden über Aufstieg oder Abstieg.
Radikale Gruppierungen unterschiedlichster Ideologien
spalten die Gesellschaft noch tiefer.
Sie nutzen die Freiheit der Demokratie, um diese auszuhebeln.
Aber auch die Chancenlosigkeit, die viele Menschen spüren,
äußert sich in Hass, Gewalt und Aggression.
Der amerikanische Traum ist für viele ausgeträumt.
(ausgestrahlt am 04.01.22 um 22.15 Uhr im ZDF)
Die Pandemie deckt schonungslos die Schwächen
auch unserer Gesellschaft in Deutschland auf.
Wir spüren die Sorge, dass unser Weg in eine ähnliche Richtung
gehen könnte wie in den USA.
In dieses triste Bild hinein funkt unser Wochenspruch gewaltig dazwischen
und malt uns eine ganz anderes Bild vor Augen:
„Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden,
die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes“
Miteinander statt Gegeneinander
Offene Türen statt geschlossener Gesellschaft
Reiche und Arme
Frauen und Männer
Gesunde und Kranke
Farbige und Weiße
Alle am gemeinsamen Tisch.
Auch im PT für den heutigen Sonntag ist dieser Gedanke des Wochenspruchs aufgenommen. Ich lese Mt 8,5-13
DER HAUPTMANN VON KAPERNAUM (Mt 8,5-13)
5Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn 6und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. 7Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen.
8Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. 9Denn auch ich bin ein Mensch, der einer Obrigkeit untersteht, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s.10Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; 12aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. 13Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.
(Übersetzung Martin Luther, revidierte Ausgabe 2017)
II
Zwei stehen einander gegenüber.
Ein Römer und ein Jude.
Einer, der unter dem Befehl des römischen Kaisers steht,
dessen Truppen mit brutaler Gewalt die eroberten Länder klein halten,
Aufstände im Keim ersticken und Aufrührer kreuzigen lassen.
Und einer, der das Reich Gottes verkündet und danach lebt.
Ein Römer, dessen Glaube in der Welt der römischen Götter beheimatet ist
und Jesus, der im Namen des Gottes Israels predigt und heilt.
Und dazwischen ein breiter Graben, der die beiden trennt.
Ein Römer bittet einen Juden nicht, und ein Jude betritt niemals das Haus eines Heiden.
Doch manchmal geschieht es, dass das Leben Geschichten schreibt,
in denen aufblitzt wie das sein kann im Reich Gottes:
wenn Menschen zusammenfinden jenseits dessen,
was sie sonst trennen würde.
Der Hauptmann zitiert Jesus nicht herbei. Er geht auf ihn zu.
Er befiehlt ihm nicht. Er schüttet ihm sein Herz aus und erzählt von seiner Not.
Solcher Glaube ist das eigentliche Wunder dieser Geschichte.
Damit werden die Grenzen überschritten,
die Brücke gefunden, die den Graben überbrückt.
„Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen.“
Es ist möglich hier auch, mit Kind zu übersetzen, wie es manche Ausleger tun
Herr, mein Kind liegt zu Hause.
Wie oft beten es Menschen
Herr, mein Kind, mein Mann, meine Frau, mein Freund, mein Nachbar
werden von ihrer Krankheit gequält.
Niemand kann ihnen helfen.
Hier findet eine Begegnung statt, die tiefer geht,
und sich jenseits aller Konventionen
und gesellschaftlichen und religiösen Regeln abspielt.
Egal ob Römer oder Jude , Knecht oder Befehlshaber -
die Unterschiede sind jetzt nicht mehr wichtig.
Dieser Mann wird getrieben durch seine Fürsorge und Liebe zu seinem Kind.
Er zeigt sich ungeschminkt.
Wie ein innerer Stern, der ihm den Weg weist.
So als hätte er ganz im Sinne unserer Jahreslosung
die Einladung Jesu in seinem Herzen gehört.
"Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen."
Komm, wage dich in meine Nähe.
Sag mir, was du auf dem Herzen hast.
Musst kein Glaubensbekenntnis aufsagen können, keine Bibelverse kennen,
musst dich nicht schämen oder fürchten wegen deiner Herkunft,
deiner Kultur und Religion.
III
Und es spricht nun manches dafür, die Antwort Jesu als Frage zu übersetzen:
Ich soll kommen und ihn gesund machen?
Ich soll als Jude in dein Haus gehen?
„Ich bin für mein eigenes Volk da“,
So wird er ein paar Kapitel später auch der Heidin aus Syrophönizien entgegen halten,
die für ihre kranke Tochter bittet.
Was für eine Klatsche!
Wieder die Trennung. Wieder die Abweisung.
Und das aus dem Munde Jesu.
Auch Jesus ist als Kind seiner Zeit aufgewachsen:
Hier die Juden - dort die Heiden.
Das Evangelium spiegelt die damalige Situation wieder.
In den Gemeinden, für die Matthäus schreibt, knirscht es gewaltig.
Der Gott, von dem Jesus spricht, in dessen Namen er kommt
und den Menschen begegnet - ist der nicht nur für sein eigenes Volk da?
Was aber ist mit den anderen, den Heiden?
Wer gehört dazu zum Gott Israels? Wer nicht?
Was ist mit denen, die die die jüdischen Gesetze und Traditionen
nicht kennen und pflegen?
Wie sind diese Texte der hebräischen Bibel auszulegen?
Wie ist das heute, wenn ich mich nicht auskenne mit den kirchlichen Gepflogenheiten?
Wenn ich eine ganz andere Prägung habe?
Wenn mir alles fremd ist oder fremd geworden ist im Laufe der Jahre,
weil ich die Geschichten der Bibel nicht mehr mit meinem Leben verbinden kann?
Der Hauptmann kommt, und er kommt wie er ist,
er setzt Herz und Verstand ein, damit ihm geholfen wird:
„Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sprich nur ein Wort,
so wird mein Kind gesund“
Du brauchst nicht kommen, Jesus.
Es geht auch anders. Ein Wort von dir reicht.
So wie ich meinen Soldaten befehle, so kannst du, Jesus,
auch der Krankheit meines Kindes befehlen.
Er kennt sich nicht aus in theologischen Fragen, die die Gelehrten umtreiben.
Er kommt aus der Welt des Befehlens und Gehorchens.
In dieses Bild ordnet er Jesus ein und vergleicht ihn mit sich selbst.
Jesus - wie ein Feldherr über Krankheiten.
Glaube ist immer etwas sehr Persönliches.
Mein Glaube ist geprägt von meinen Erfahrungen, von meinen Begegnungen,
von meiner Kultur, von meinem Umfeld.
Es kann sehr spannend sein, diesen Fragen einmal nachzugehen.
Welche Vorstellungen von Gott und Jesus leiten mich?
IV
Oft kommt Glaube in Formen daher, die uns ungewohnt und fremd sind
und die wir in der Tiefe verstehen und entschlüsseln müssen
Und wie reagiert Jesus auf solche Vorstellungen?
Seine Reaktion muss uns vorsichtig machen bei allen Versuchen,
den Glauben von Menschen beurteilen zu wollen.
Jesus lässt solche Übertragung zu.
Er kritisiert den Hauptmann nicht
Er könnte ja auch sagen:
Da hast du etwas völlig missverstanden.
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt!“
Jesus sieht hinter alle Dinge, die mich geprägt haben,
und die ich manchmal vielleicht auch als Last mit mir herumschleppe.
Er lobt den ungeschminkten Glauben des Hauptmanns,
dessen Verhalten ein Stück vom Reich Gottes aufblitzen lässt.
„Viele werden kommen von Osten und von Westen" -
Unabhängig von Status, Herkunft, Religion, Geschlecht oder Einkommen
und in ihrem Herzen einen Glauben mitbringen,
über den auch wir uns wundern können.
Und auch ich möchte dazu gehören.
Ich glaube, dass die Güte und Liebe Gottes,
die du, Jesus, doch immer wieder sichtbar machst, auch für mich gilt.
Auch ich bin nicht ausgeschlossen und auch nicht die Menschen,
die mir am Herzen liegen und denen ich helfen möchte.
Ich gehöre dazu, auch dann wenn ich mich fremd fühle,
wenn ich mich nicht auskenne in deiner Religion und keine Ahnung habe,
auch dann, wenn ich machtlos bin in Krankheit und Not,
wenn ich Angst habe und zweifle, was ich überhaupt noch glauben soll
Ich glaube, dass Gottes Liebe, von der du immer predigst,
groß und weit und großzügig ist und doch auch mir und meinem Kind,
meinem Knecht, meiner Frau, meiner Familie gilt.
Solch einen grenzüberschreitenden Glauben
hat Jesus bisher noch nicht erlebt. Das ist auch neu für ihn.
V
Fast schon verbittert und wie ein Fluch klingen sein anderen Worte:
„Die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis.“
Ein fatales Missverständnis wäre es, diese Worte pauschal auf Israel zu beziehen.
Wieviel Unheil hat solches Denken schon angerichtet!
Jesu Reaktion muss uns hingegen vorsichtig machen bei allen Versuchen,
den Glauben von Menschen beurteilen zu wollen.
Das Evangelium spiegelt auch hier die damalige Situation,
in der Menschen nichts anderes gelten lassen
als ihre Vorstellung von Gott, ihre Tradition und Lehre
und andere dabei ausschließen.
Wer aber ständig hört, nur eine bestimmte Art zu glauben gefällt Gott,
definiert sich schließlich nur noch über Abgrenzung
und spürt nicht mehr die erfahrene Zuwendung.
Diese Geschichte ist deshalb wie eine Aufforderung,
im Gespräch und offen füreinander zu bleiben,
unsere Erfahrungen auszutauschen, damit wir voneinander lernen können.
Einander zuzuhören und nicht zu richten
und den anderen Menschen zu sehen mit seiner Geschichte,
mit seinen Träumen und Wünschen und Ängsten und oft auch mit seiner Not.
VI
Die Dokumentation von Markus Lanz über Amerika endete mit den Worten
„Die Konflikte scheinen unüberwindbar zwischen reich und arm, weiß und schwarz.“
„Was die Menschen verbindet, ist immer noch ihr ungebrochener Lebensmut.
Man sollte dieses Amerika nicht zu früh abschreiben“
Man sollte auch unser Land und unsere Gesellschaft,
andere Menschen nicht zu früh abschreiben.
Die biblische Geschichte endet mit den Worten
„Und sein Knecht wurde gesund zur selben Stunde.“
Die schmerzhafte Lähmung verschwindet.
Jesus spricht sein Wort, das heilt und befreit .
Er gibt aber keinen militärischen Befehl
Er sagt auch nicht: Abrakadabra und alles ist gut.
Er sagt: „Dir geschehe, wie du geglaubt hast“
Das Wort eines Menschen, dem ich glaube und vertraue,
bewirkt ein Wunder, verändert das Leben auf heilsame Weise
Auch Freundschaften leben davon,
dass sich einer auf den anderen verlassen kann.
Solche Worte kommen nicht von oben herab und rauschen an uns vorbei.
Sie bewegen Herzen, Mund und Hände,
schenken Mut und Hoffnung.
Jesus bestärkt uns in diesem Vertrauen:
Geh hin.
Gott ist für dich da und für alle deine Lieben.
Er ist an deiner Seite.
Geh deine Schritte.
Dir geschehe wie du glaubst.
Amen
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Literatur:
Matthias Konradt, Das Evangelium nach Matthäus, Göttingen Vandenhoeck & Rupprecht, 2015