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Vorbemerkung:

Predigtidee, Aufbau und Formulierungen verdanke ich einer Predigt von

Pfarrerin Dr. Thea Vogt vom 10.01.2021

https://www.ccr-schwanberg.de/fileadmin/templates/ccr-schwanberg/media/Predigten/Predigt_TVogt_100121.pdf

 

 

Dieser ist`s 

 

Predigt zu Johannes 1,29-34 am 1. Sonntag nach Epiphanias 2023

 

Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! 30Dieser ist’s, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. 31Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er offenbar werde für Israel, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser.

32Und Johannes bezeugte es und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. 33Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich gesandt hat zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf welchen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist’s, der mit dem Heiligen Geist tauft. 34Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.

(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Ausgabe 2017)

 

I

Liebe Gemeinde,

 

In seinem Songtext „Sensibel“ schreibt der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch,

dass seine Frau ihn als „so sensibel“ bezeichnet, weil er immer so Tiere rettet.

​

„Ich rette immer so Tiere

So Bienen aus dem Swimmingpool

Mit einem großen Aschenbecher

Oder ich bringe Käfer über die Straße

Oder hole Fliegen aus dem Bierglas

Die trocknen sich dann die Flügel in der Sonne

Also ich setze sie da hinein

Und dann fliegen sie weg…“

 

Und dann stellt er die Frage:

 

„Wenn unsereiner ein Tier wäre

Und käme dann in so eine Notlage

Sagen wir mal

Man würde von so einem großen Dampfer fallen

Dreißig Kilometer von der Küste

Da wäre unsereiner ja auch froh

Wenn dann jemand käme

Und würde einen an Land ziehen…“

 

Auf humorvolle Weise wechselt Hanns Dieter Hüsch 

die Perspektive und zeigt wie sein Leben aussieht, 

wenn er es in Beziehung setzt zu einer Fliege.

Er verbindet sein Leben mit einem anderen Leben

und schon verändert sich für ihn der Blickwinkel

und für die Fliege ihre aussichtslose Situation im Bierglas.

 

Das Leben verändert sich, wenn Menschen Beziehungen eingehen

und aus der Perspektive des andern sehen lernen.

Kinder und Eltern, Lebenspartner,  Lehrer und Schüler, Nachbarinnen, 

Andersdenkende, Fremde.

Ich lerne mich selbst neu kennen, ich lerne den anderen verstehen,

finde meinen Platz in einem Netz aus Beziehungen.

 

Sich in Beziehung zu setzen und die Perspektive zu wechseln

ist  auch eine große Vorliebe Gottes,

schon in der hebräischen Bibel des Johannes

gebärdet sich Gott als einer, der sich herunterbeugt, 

und die Welt aus Sicht der Kleinen sieht,

der sein Volk unter seinen Flügeln beschattet, 

mit ihnen zieht und Wege ebnet in der Wüste,

die Sklaven befreit,

die Witwen und Waisen ins Herz schließt

und nicht aufhört, uns zu suchen und zu finden.

 

Immer ist er drauf und dran, uns aus Biergläsern zu retten, 

und aus Untiefen herauszuziehen.

 

Seine Zuneigung verdichtet sich in einer Geburt in einem Stall.

Seine Liebe nimmt Gestalt an, wird fassbar, greifbar, sichtbar.

"Das Wort ward Fleisch", so beginnt das Johannes-Evangelium.

 

II

 

Und nun kommt der erwachsene Jesus zu Johannes. 

Er sucht die Begegnung.

 

Johannes ist eine beeindruckende Erscheinung.

Er predigt in der Wüste, trägt ein Gewand aus Kamelhaaren,

ernährt sich von Heuschrecken und wildem Honig.

Er donnert und wettert gegen Unrecht

und ruft zu Buße und Umkehr auf.

Die Menschen strömen in Scharen an den Jordan,

um sich von ihm taufen zu lassen.

 

Wer bist du?, 

so wird Johannes unmittelbar vor unserem Predigttext gefragt.

Bist du der Messias?

Bist du derjenige, auf den wir schon so lange warten und hoffen?

 

Wer bin ich? Schlüpfe ich in die Rolle, die andere mir zuschreiben?

Lasse ich mich vereinnahmen?

Wie finde ich meinen eigenen Platz im Leben, der mir entspricht?

 

Viele würden sich geschmeichelt fühlen, angesichts dieser Attribute,

die man versucht Johannes zuzuschreiben.

 

Manchmal tappen Menschen in diese Falle,

lassen sich als Lichtgestalten und Heilsbringer verehren, 

und genießen diese Rolle als religiöse Führer.

Manche lassen sich feiern als  als politische Führer,

nutzen die Sehnsucht der Menschen aus

nach einem starken Mann, der weiß, was zu tun ist.

 

Manchmal suchen Menschen einen Messias, der sie an die Hand nimmt,

der ihnen das Leben mit all seinen Entscheidungen abnimmt.

und all die komplexen Probleme auf unserer Welt lösen wird.

 

Johannes weist diesen Anspruch zurück

„Ich bin nicht der Christus“  antwortet er ihnen.

 

Er  ist nicht das Licht, auf das die ganze Welt so sehr wartet.

Er ist nicht der Heilsbringer. 

Und er muss es auch nicht sein.

Welch eine Entlastung !

 

Johannes ist ein Zeuge.

Er gibt weiter, was er erlebt,

was er spürt, was er hört und sieht.

Es ist bezeichnend, dass Jesus in dieser Szene schweigt.

Nur Johannes als sein Zeuge kommt zu Wort.

​

Alles, was wir von Jesus wissen, ist uns bekannt geworden

durch das, was uns andere erzählt haben.

Ein buntes, vielfältiges Bild kommt da zusammen.

Welche Geschichten berühren mich?

Was kann ich mit meinem Leben verbinden und bezeugen?

 

Als Jesus zu ihm kommt, 

da löst diese Begegnung eine tiefe Resonanz in ihm aus.

Da beginnt etwas zu schwingen in ihm. 

Und es bricht aus ihm heraus, was ihm zur Gewissheit wird:

 

„Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt.“

 

Sünde -  der riesige Abgrund, der sich auftut auf unserer Welt.

Zappeln im Bierglas ohne einen Strohhalm.

Treiben im Ozean 30 km vor der Küste.

Beziehungslosigkeit. Verlorenheit.

Verkrümmtsein in mich selber.

 

Die Sehnsucht ist unendlich groß, dass diese Welt heil wird.

Die Sehnsucht, dass wir Zukunft haben trotz allem, 

was  geschieht an Schlimmem, an Schicksalsschlägen,  an Not, an Tod, an Leid.

Die Unterbrechung des ständigen Kreislaufs von Schuld und Anklagen

und Vorwürfen und neuen Verletzungen und Gewalt und Hass.

Stattdessen Versöhnung, Vergebung, neues Vertrauen, neuer Anfang.

Nicht festgenagelt und fixiert bleiben beim Alten.

​

All das Unerlöste, all das, was uns zum Verzweifeln bringen kann, 

das Immergleiche Fürchterliche. 

Er trägt es selber auch,

gerät in die Abgründe der Welt und geht unter darin

ohne Strohhalm, ohne Brücke.

 

Ein Lamm, das sich nicht wehren kann.

Kein Bär, kein Elefant, kein Löwe, der alles wegbeißt.

Ein kleines, noch nicht ausgewachsenes Tierchen.

Es braucht selber Schutz und Fürsorge.

Vor einem Lamm fürchten wir uns nicht.

Vor einem Lamm kuschen wir nicht, da kuscheln wir lieber.

 

Ganz anders als Johannes tritt Jesus auf.

Ganz anders als Menschen sich oft den Messias vorstellen.

 

III

 

Dieser ist`s - Warum gerade dieser?

 

Bilder tauchen auf:

Vom Hirten, der das Schäfchen auf den Armen zurückträgt,

der die Lämmer sammelt im Bausch seines Gewandes (Jes 40,9)

 

Von den Passahlämmern, die früher in Israel geschlachtet wurden.

Im Johannesevangelium stirbt Jesus am Passahfest.

Wie ein Lamm. Er flieht nicht. Er bleibt seinem Weg treu.

 

Johannes, der selbst alles gibt, 

um die Menschen zur Umkehr zu bewegen, 

der  droht und wettert und schimpft,

sieht hier plötzlich einen anderen Umgang mit Sünde:

 

Er sieht die Liebe, die Güte, die Hingabe Jesu bis in die letzte Konsequenz

 

Gott so sein zu lassen für mich und die Welt, in der ich lebe -

So sanftmütig, so wehrlos.

Keine andere Macht als die der Liebe zu spüren.

 

Das ist keine billige Gnade.

Das ist kein „Gott einen guten, alten Mann sein lassen.“

Das ist innere Arbeit.

 

Versöhnung, Aussöhnung mit mir selbst, mit anderen,

mit meinem Schicksal lässt sich nicht verordnen.

 

Sie geschieht nicht durch die Gewalt des Stärkeren,

durch Drohen, Schimpfen, Strafen.

Das sind Methoden, die angewendet werden müssen,

um schlimmeres Übel zu vermeiden auf der Welt.

Aber das ist noch keine Versöhnung.

 

Ich erinnere mich, als unsere Kinder klein waren, noch kaum schreiben konnten

und Freundschaftsbücher zum Ausfüllen mit nach Hause brachten.

Oft musste der Satz ergänzt werden: „Was ich gar nicht mag…“

Und oft habe ich gelesen: „wenn ich ausgeschimpft werde…“

 

Wenn ich ausgeschimpft werde, fühle ich mich klein und schuldig,

geht es mir nicht gut.

 

Manchmal bin ich selbst diejenige, die sich ausschimpft,

die hart zu sich selber ist und sich klein macht.

 

Eltern, Partner, Freunde, die mich in Arm nehmen, 

zu mir halten, bei mir bleiben, 

mit mir aushalten, was so unaushaltbar ist, 

lassen mich spüren wie das ist,

wenn ich eine Hand gereicht bekomme und wieder etwas heil wird.

 

Johannes kann diesen Jesusweg als den Größeren anerkennen.

Und gleichzeitig zeugt das von Größe,

die eigenen Überzeugungen relativieren zu können, 

sie nicht absolut zu setzen. 

 

„Dieser ist’s, von dem ich gesagt habe: 

„Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht.“

"Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen" (Jes 42,3)

Die Augen der Blinden werden geöffnet, die Gefangenen aus dem Kerker geführt.

Wir haben es in der Lesung gehört.

 

Dieser ist es, in dem Gott atmet und lebt und liebt und leidet,

der schon lange vor mir da war und auch nach mir sein wird.

 

Und mein Leben spielt sich dazwischen ab.

in diesem  Raum der Liebe Gottes,

die schon immer ist und immer war und immer bleiben wird.

 

IV

 

„Dieser ist Gottes Sohn“

 

Auf ihn ist Gottes Geist herabgefahren,

als er sich taufen lässt von Johannes.

Und auf ihm ist dieser Geist geblieben bis zuletzt.

 

Herabfahren, sich in Beziehung setzen.

Das ist die Lieblingsbewegung Gottes: 

Hinabsteigen in das Menschsein und in das Taufwasser des Jordans, 

um die vollkommene Solidarität mit uns Menschen zu leben auf dieser Welt.

 

Herabsteigen bis ins Grab,

und denjenigen, an dem bitterstes Unrecht geschehen ist

wieder herausziehen aus dem Tod und  an die Seite des Lebens zu stellen.

 

Damit uns nichts mehr zerstören kann.

Damit auch wir leben.

Damit wir Hoffnung haben.

 

„Dieser ist Gottes Sohn“, der uns in diese Bewegung hineinnimmt,

der uns erinnert an mein eigenes Sohn und Tochter sein,

und diesen Namen mit uns teilt

Söhne und Töchter Gottes sind wir in solcher Beziehung,

werden von solchem Geist getrieben (Wochenspruch)

 

Nicht mehr isoliert, nicht mehr alleine im großen Ozean.

Da ist einer vor mir und da ist einer nach mir.

Da ist einer mit mir.

 

„Dieser ist`s“

 

Welche Entlastung auch für uns.

Ich fange nicht bei Null an, als müsste ich erstmal beweisen, 

dass es okay ist, dass ich lebe. 

Ich muss keine Endgültigkeiten hervorbringen. 

Auch ich bin in seiner Mitte, um das meine zu tun,

bruchstückhaft, solange ich auf Erden bin. 

 

Das Leben wird weiter.

Dieser zeigt uns neue Sichtweisen 

Lilien auf dem Felde und Vögel unter dem Himmel,

die sich eben nicht sorgen müssen 

 

Käfer und Fliegen, die ich als Mitgeschöpfe wahr nehme,

und auch Bären und Elefanten und Löwen und Schäfchen

und noch viel mehr einen Menschen, der sich über Rettung freut.

 

Gott ist gekommen und kommt, um uns in die Sonne zu setzen, 

damit wir unsere Flügel trocknen können 

und er schenkt uns ein sensibles Herz, 

damit wir Rettungen aller Art veranstalten können.

 

Da geht der Himmel auf.

Da weht ein neuer Geist, 

der beflügelt. inspiriert, Hoffnung schenkt, der ausstrahlt in die Welt.

Ein neues Lied, das durch die Welt geht.

 

Amen

 

Neue Lieder plus 32,1-7: Ein Lied geht durch die Welt

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Literatur

Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, Band 4:

Klaus Wengst, Das Johannesevangelium, Kohlhammer Verlag, 2. Aufl. 2007

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