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Schlamassel

Predigt zu Jesaja 6,1-13  -   Trinitatis 2023

 

I

 

„Hallo, Ihr da oben, bringt uns hier unten endlich zur Vernunft.

Hier fehlt jemand mit umfassender Intelligenz, der uns aus dem Schlamassel rauszieht“

 

Bereits aus dem Jahre 1992 stammen diese Worte.

Es handelt sich dabei  um die Zuschrift einer Leserin an die Bild-Zeitung,

die sie Außerirdischen zukommen lassen wollte.

 

Hintergrund der Aktion war eine Nachricht der NASA,  

sie habe Signale aus dem All empfangen, auf die man antworten wolle.

Die Bild-Leser:Innen wurden von der Redaktion aufgefordert, sich einzubringen mit ihren Antworten.

Viele Menschen haben übrigens damals ihre Vorschläge eingereicht.

 

Irgendjemand, irgendetwas und sei es aus dem All, das uns hilft, wo wir nicht weiter kommen!

 

Je schwieriger das Leben, desto sehnsuchtsvoller sind solche Wünsche.

Nur allzu menschlich und allzu verständlich!

 

Auch an Gott richten sich solche Erwartungen.

All das, was wir Menschen nicht vermögen, wird von ihm erhofft. (1)

 

Der heutige Predigttext zeichnet jedoch ein ganz anderes Gottesbild.

Ich lese Jesaja 6,1-13

 

61In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel. 2 Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. 3Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! 4Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch.

5Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. 6Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, 7und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.

8Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! 

9Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet's nicht; sehet und merket's nicht! 10Verstocke das Herz dieses Volks und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.

11Ich aber sprach: Herr, wie lange? Er sprach: Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt. 12Denn der HERR wird die Menschen weit wegtun, sodass das Land sehr verlassen sein wird. 13Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.

(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Ausgabe 2017)

II

 

In dem Jahr, in dem Usija starb - so etwa um 740 v. Chr. war das -

da steckte das Volk Israel in tiefem Schlamassel.

 

Jesaja  spürt, was in der Gesellschaft los ist

er hört die lauten und leisen Signale,

die nicht aus dem Weltall sondern aus der Welt zu ihm dringen,

und er ahnt die drohende Katastrophe.

 

Die Zeiten sind unruhig.

Ein König liegt im Sterben, der nächste König steht schon im Startloch

und ein fremder König  aus Assyrien steht an den Landesgrenzen.

Politische Allianzen werden gegen diese Großmacht geschmiedet.


In Stadt und Land tobt das Unrecht.

Die Fürsten sind bestechlich.

Die Richter beugen das Recht.

Die Herrschenden leben auf Kosten der Armen.

Böses nennen sie gut und Gutes nennen sie böse.

Lüge und Wahrheit werden verdreht.

 

Statt 740 v. Chr. können wir auch andere Jahreszahlen einsetzen.

 

In dem Jahr, in dem die ganze Welt in eine tiefe Krise stürzt,

als der russische Präsident sein Nachbarland überfallen lässt und unsägliches Leid anrichtet.

 

In dem Jahr, in dem der türkische Präsident ein weiteres Mal 

die Macht  an sich reißt und auch weiterhin die  Demokratie in seinem Land unterdrücken wird.

 

In dem Jahr, in dem Journalistinnen und Demonstranten im Iran im Gefängnis sitzen

und ein Todesurteil fürchten müssen.

 

In dem Jahr, in dem der Klimawandel sich immer weiter seinem Kipppunkt nähert

und sich Klimaktivisten auf der Straße festkleben, um eine Veränderung zu erzwingen.

 

In dem  Jahr, in dem sich viele Menschen auch bei uns abgehängt und vergessen fühlen

und sich fragen: Wie sollen wir das schaffen?

 

In dem Jahr, in dem wie schon viele Jahre zuvor, 

ein Schrei der Leidenden nach Gerechtigkeit um die Welt geht

und der Ruf zum Himmel schallt:

Herr, wie lange? Wie lange all dieses Leid auf der Welt?

 

Und auch in diesem Jahr, da kommen keine Außerirdischen, um uns beizustehen

und auch in diesem Jahr zieht uns Gott nicht einfach mit einem Fingerschnippen aus dem Schlamassel.

 

Doch auch in diesem Jahr, da ergeht, wie schon viele Jahre zuvor sein Ruf:

„Wen soll ich senden“?

 

Da greift Gott nach Menschen, 

durch die er sich Gehör verschaffen, die Augen öffnen, die Herzen berühren

und seinen Willen geschehen lassen will.

 

III

 

Jesaja hört diesen Ruf.

Er macht eine Erfahrung, die sich tief in sein Leben einbrennt.

 

Mit den Bildern eines Königs aus dem 8. Jh. v. Chr. zeichnet Jesaja sein Gottesbild.

Mit menschlichen Vergleichen aus seiner Zeit beschreibt er seine Erfahrung, die ihn so erschüttert und trifft.

Er ist im Tempel

Über dem prachtvoll erbauten irdischen Tempel 

öffnet sich die Weite des Himmels.

Über all den irdischen Königen und Fürsten sieht er noch einen König thronen -

den Heiligen Israels.

Der Tempel ist viel zu klein für ihn.

 

„Der Himmel  und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen“

so betete bereits der König Salomo bei dessen Einweihung.(1. Kön 8,27)

Allein der Saum des göttlichen Gewandes vermag den ganzen Tempel zu füllen.

 

Feurige Engelgestalten fliegen um den himmlischen Thron,

und lassen ihre Stimmen erschallen:

„Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth“.

 

Vor diesem König zeigen sie ihre Ehrerbietung

nicht vor den israelitischen, syrischen, assyrischen oder babylonischen Königen.

 

Die  Mauern des Tempels beginnen zu wackeln,

der irdische Glanz wird von Rauch umnebelt.

 

So als solle es sich Jesaja fest einprägen:

Auch ein prachtvolles Gotteshaus ist keine Lebensversicherung.

Auch der Thron der Mächtigen steht nicht so fest wie es scheint.

Der Schrei der Leidenden und Übervorteilten lässt sich nicht einfach übertönen,

er wird gehört von diesem höchsten König.

 

„Alle Lande sind seiner Ehre voll“

Wer die Menschen bedrückt und das Land zerstört, 

der stellt die Heiligkeit Gottes in Frage,

der vergreift sich an seiner Ehre.

 

Jesaja driftet nicht ab in eine jenseitige Welt, 

oder spinnt sich ein in Fantasien und Utopien wie es der Fall ist,

wenn politische und religiöse Ideen sich verselbstständigen.

 

Gerade in dem Moment, in dem er sich Gott so nahe fühlt,

spürt er deutlicher denn je sein Erdendasein,

kann nicht einstimmen in das 

Heilig, heilig, heilig der himmlischen Chöre

 

Ein ganz anderer Ruf erklingt aus seinem Mund:

„Weh mir, ich vergehe“ 

„Ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen“

Ich gehöre auf diese Erde mit all ihrer Schuld und Not und bin ein Teil von ihr.

Ich bin ein fehlbarer Mensch und stehe Gott nicht näher als mein Volk.

 

Jesaja stammt aus wohlhabendem Hause der Jerusalemer Oberschicht.

Doch nun fällt diese Hierarchie in sich zusammen.

Menschliche Standesunterschiede - Priester oder Fürst oder König oder Kanzler - spielen keine Rolle mehr

Jesaja reflektiert sein eigenes Leben und ist ehrlich sich selbst gegenüber

 

Liegt nicht darin die Chance, dass sich etwas verändert?

 

Ist das der Beginn einer Neugeburt, von der auch Jesus im Evangelium spricht (Joh 3,3),

wenn einer neuer Wind bläst und mein eingefahrenes Denken aufbricht?

 

Wäre das nicht die beste Voraussetzung dafür,

dass Jesajas Botschaft auch ankommt bei den Menschen,

weil er sich nicht über andere stellt?

 

IV

 

Doch das Gegenteil tritt ein. 

Es ist schockierend, was Jesaja erkennen muss:

 

Seine Predigt wird nichts verändern und nichts bewirken.

Sie wird die Herzen der Menschen verfetten, so wörtlich,

die Ohren verstopfen und die Augen verkleben.

Die innere Fettschicht ist mittlerweile so dicht, 

dass nichts anderes mehr durchdringt.

 

Sehen und doch nicht sehen. Hören und doch nicht hören.

Einander wirklich zuhören - wie schwer kann das sein

Wie lange kann es dauern, bis ich wirklich verstehe, was der andere meint

 

Es ist eine furchtbare Beobachtung, 

dass sich das Innere eines Menschen so verschließen kann

wie Gefäße im Körper, die verstopft sind und irgendwann zum Infarkt führen.

Gefangen in einer Bubble, die alles ausblendet, was nicht das eigene Leben bestätigt

bis irgendwann die Blase platzt und nur noch Chaos und Leid hinterlässt.

 

Auch die Evangelien nehmen diese Bilder auf,

um die scheinbare Wirkungslosigkeit des Reiches Gottes zu beschreiben.

 

Menschen, die sich engagieren, haben manchmal das Gefühl:

Unser Einsatz scheint so oft vergeblich.

Manchmal sieht es so aus als würden wir sehenden Auges 

und doch so blind in eine Katastrophe laufen, weil wir das, was wir losgetreten haben,

gar nicht mehr aufhalten können.

 

Ist das Gottes Wille, diese Selbstzerstörung, diese Schreckensbilder?

Ist nichts anderes aus dem himmlischen Heiligtum zu hören?

 

Und doch - die Botschaft erklingt ja.

Sie wird gerade nicht verschwiegen.

 

Wen soll ich senden? wird Jesaja gefragt.

„Hier bin ich, sende mich“ antwortet er.

Leidenschaftliche Worte findet er,

damit Menschen eben doch hören und sehen und genesen,

damals wie heute.

 

V

 

Die Katastrophe, die Jesaja hat kommen sehen, ist  eingetreten.

Erst fallen die Assyrer ins Land.

Gut 150 Jahre später sind es die Babylonier

Die Mauern des Tempels wackeln endgültig und brechen ein.

 

Wenn ein ganzes Volk am Boden liegt,

Lebensgebäude auseinanderbrechen

Gottesbilder nicht mehr tragen,

entstehen Wunden und Geschwüre in der Seele, 

die aufbrechen und nicht heilen wollen. 

Sie tun weh.

Es entstehen Fragen, Vorwürfe, Bitterkeit, Anklagen.

Der Weg zurück ins Leben kann lange dauern.

Als Jesaja  damals selbst am Ende war und glaubt, zu vergehen, tritt eine Wende ein.

Er zeichnet ein Hoffnungsbild für alle Zeiten danach.

 

Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand,

die er mit der Zange vom Altar nahm, 7und rührte meinen Mund an und sprach:

Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde

und deine Sünde gesühnt sei.

 

Aua! Welch ein Bild!  

 

Glühende Kohlen versengen, glühende Kohlen verbrennen - 

Die Erkenntnis über sich selbst ist manchmal nicht zu ertragen, 

wenn da nicht noch eine andere Erfahrung dazu kommt:

Da ist einer, der gibt mich trotzdem nicht auf.

Da ist eine, die zeigt mir die Wahrheit und hilft mir, damit zu leben.

 

Der Heilige, vor dem sich die Seraphin bedecken,

der Tempel ins Wanken gerät und vor dem Jesaja glaubt zu vergehen,

ist derjenige, der sich ihm zuwendet auch mitten in der Krise,

der Signale sendet an seine Menschen

und nicht  im Himmel alleine bleibt mit Engeln,

die ihn nicht einmal anschauen dürfen.

sondern seine Engel sendet, die uns berühren.

 

Von Jesajas Schultern wird eine große Last genommen:

Die Last: Da ist ein Gott, der mich vergehen lässt, weil ich nichts gut mache.

Die Last: Ich genüge nicht. Ich bin nicht perfekt, kann nicht alles richtig machen.

Die kreisenden Gedanken, die nicht zur Ruhe kommen.

 

Stattdessen: Entlastung. Freiheit. Mut. Glauben. Hoffnung. Eine Aufgabe.

Jesaja wird Prophet und schweigt nicht.

Er gibt seine Botschaft weiter.

 

VI

 

Über Jahrhunderte hinweg wird unser Predigt und auch andere Texte

der hebräischen Bibel immer wieder neu gelesen und neu formuliert.

Dies trägt das Volk durch die tiefsten Katastrophen hindurch und lässt sie überleben.

 

Gerade in diesen Zeiten,  wird ihnen gesagt:

Dieser Höchste im Himmel ist und bleibt zugleich auch 

der tiefste Grund eures Lebens, auch dann, wenn alles,

aber auch alles verloren aussieht.

 

Da ist immer noch ein Stumpf von der Eiche und der Linde.

Da ist immer noch in dir, o Mensch, ein Keim der grünen will

Da ist immer noch die Lebenskraft, die sich Bahn bricht.

Ergreife sie und geh deine Schritte, tastend, suchend

und übernimm Verantwortung für dein Leben und Handeln.

 

Es wird Neues wachsen wie ein neuer Trieb am abgestorbenen Baumstumpf

wie ein Samenkorn in der verbrannten Erde.

 

Macht eure Augen und Ohren auf! 

Sucht das Samenkorn, das überlebt hat. 

Sucht die neuen Triebe am Stumpf

 

Hell leuchtet diese menschliche und auch leidenschaftliche Seite Gottes  auf

in dem Zimmermann aus Nazareth.

Nicht nur über den Kosmos herrschend mit einer Majestät, 

die kein Tempel zu fassen vermag

sondern so wie Jesus die Lasten von den Schultern nehmend

und Zukunft eröffnend.

 

„Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“

sagt er seinen Jüngerinnen und Jüngern nach seiner Auferstehung.

 

Und wir bitten ihn:

Schenke mir Ohren, die hören,

Augen, die sehen

und ein Herz, das offen ist.

 

Amen

Lied: EG 611,1-3: Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt, damit ich lebe

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Anmerkungen

(1) Idee entnommen aus: Eduard Trenkel und Michael Becker, Trinitatisfest in:  Werkstatt für Liturgie und Predigt, Heft 4/93 S. 233-239

Literatur

* Otto Kaiser, Das Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 1-12, ATD 17, Göttingen 1981

*  Heinz Janssen, Trinitatis: Heiliger Same in: Berührungspunkte, Worte der Bibel ins Heute gedacht, S. 93-96, Fromm Verlag 2011

* Susanne Ehrhardt-Rein, Vision mit klarem Blick, Predigt zu Jesaja 6,1-13 in: predigten.evangelisch.de

https://predigten.evangelisch.de/predigt/vision-mit-klarem-blick-predigt-zu-jesaja-61-13-von-susanne-ehrhardt-rein

* Prof. Dr. Peter Lampe, Gottesdienst in der Peterskirche Heidelberg am 31.05.2015 Predigt zu Jesaja 6,1-11   

https://www.theologie.uni-heidelberg.de/universitaetsgottesdienste/3105_ss2015.html

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