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„Gemachte“ Menschen

 

 

Predigt zu 1.Kor 1,26-31 

 

(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Auflage 2017)

 

26 Seht doch, Brüder und Schwestern, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme sind berufen. 27 Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; 28 und was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, 29 auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme. 30 Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der für uns zur Weisheit wurde durch Gott und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, 31 auf dass gilt, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22-23): »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!«

 

I

 

Liebe Gemeinde

 

„Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt“,

„was schwach ist“, „was gering ist“, „was verachtet ist“, „was nichts ist“.

Nicht viele Weise, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme.

 

Alles ist hier anders. Alles wird hier umgedreht. 

Nicht das Motto: großartig, einflussreich, mächtig

sondern: klein, gering und schwach.

Gott wählt anders als wir Menschen.

 

Möchten wir zu dieser Auswahl dazu gehören?

 

Unwillkürlich fragen wir uns vielleicht:

Wo stehe ich selber?

Welchen Status habe ich vor der Welt?

Kommt es nicht immer auf die Perspektive an?

Wir finden immer jemanden, der über uns oder unter uns steht, 

wenn wir uns vergleichen.

 

Welchen Status habe ich vor Gott?

Wird da die Perspektive nicht noch einmal ganz anders?

 

Muss ich arm, gering und schwach sein,

damit ich von Gott erwählt bin?

 

Macht Gott uns klein, damit er selber groß wird?

Braucht er unsere Armseligkeit, 

damit er selber groß dastehen 

und glänzen kann und gerühmt wird? 

 

Soll das alles zunichte gemacht werden,

was Menschen an großartigen Leistungen hervorbringen

in der Naturwissenschaft, in der Kunst, in der Technik,

in der Literatur und auf vielen anderen Gebieten?

 

Gibt es nicht viele menschliche Leistungen,

die unsere Anerkennung und Achtung verdienen,

wenn Menschen füreinander da sind und sich füreinander einsetzen,

auch in den Gruppen und Kreisen unserer Kirchengemeinden?

Als Christinnen und Christen ist uns doch auch gesagt,

dass wir unser Licht keineswegs unter den Scheffel stellen sollen

sondern auf den Leuchter setzen.

 

Freude, wenn mir etwas gut gelungen ist, 

ein Dankeschön, wenn ich mich eingebracht habe,

muss den Ruhm Gottes doch keineswegs ausschließen.

 

Wer ein Kind beim Großwerden begleitet, 

entdeckt immer wieder leuchtende und stolze Augen, 

wenn wieder ein Entwicklungsschritt gemeistert wurde: 

der erste selbständige Schritt, die ersten Worte, das Radfahren, 

der ersten Schulranzen und später der bestandene Schulabschluss, der Ausbildungsvertrag, ein bestandenes Examen.

 

Aber wie soll das gehen mit dem Selbstvertrauen,

wenn die Note unter der letzten Klassenarbeit  wieder nur eine 4 oder 5 war? 

oder wenn der Chef mich wieder zur Schnecke gemacht hat? 

Wenn ich innerlich immer kleiner werde, 

weil die Aussicht auf einen Job zunehmend schwindet? 

Oder wenn ich am Ende des Monats nur noch die allerletzten Cents im Geldbeutel zusammensuchen kann?

 

Erscheint dieser Trost dann nicht zu billig: 

Wenn schon nicht auf der Welt, 

wenigstens bei Gott bist du geachtet?

„Was gering ist vor der Welt hat Gott erwählt“

 

Denn wir müssen uns doch auch bewähren auf dieser Welt

und unseren Platz darin finden,

damit wir unseren Lebensunterhalt verdienen

und unser Auskommen haben.

 

Andererseits:

Was kann uns tragen in dieser Sorge ums Alltägliche, 

in diesem Kampf ums Bestehen 

und in diesem Rennen um die besten Plätze?

Diese Prinzipien laugen doch auch oft genug aus, 

machen müde und verzagt.

 

Paulus erinnert uns daran,

dass bei Gott noch ganz andere Maßstäbe gelten,

unabhängig von dem,  was wir schaffen und erreichen.

 

Ich bin berufen, erlöst, befreit  - 

unabhängig von meinem Ansehen und meinem Status.

 

Auch das hilft zu neuem Selbstvertrauen,

wenn ich entdecke: Da hält jemand zu mir,

auch dann wenn ich ganz unten bin und versagt habe,

und wenn niemand sonst mich mehr wählt.

 

II

 

Diesen ganz anderen Maßstab 

malt Paulus seiner Gemeinde in Korinth vor Augen.

Er begegnet damit vielen Problemen,

die in der Gemeinde aufgetreten sind.

 

Das Gemeindeleben ist bedroht durch Streit und Spaltung.

 

Kurz  vor unserem Predigttext spricht 

Paulus die Gemeinde darauf an.

„Der eine sagt: Ich bin paulisch, der andere: Ich bin apollisch,

der dritte: Ich bin kephisch, der vierte: ich bin christisch –

also lauter unterschiedliche Gruppierungen.“

 

Je glaubensstärker und geistbegabter sich die eine Gruppe fühlt,

desto mehr kehren sie die Schwächen der anderen ans Licht.

 

Streit und Richtungskampf in unseren Kirchen.

Wie aktuell ist das: 

Die Einen sind liberal, die anderen evangelikal.

 

Wer legt die Bibel richtig aus?

Wer hat das mit dem Glauben am Besten verstanden? 

Wer kommt am besten an?

 

Dagegen setzt Paulus die Frage: 

Ist denn Christus zertrennt? 

Ist denn Paulus für euch gekreuzigt?

„Niemand soll sich vor Gott rühmen können“.

„Wer sich mit etwas rühmen will, der soll sich mit dem rühmen, 

was der Herr getan hat“ (Gute Nachricht)

 

Das Problem ist nicht die Vielfalt.

Gott hat uns bunt und vielfältig geschaffen.

Entscheidend ist die Haltung mit der wir uns begegnen.

Probleme entstehen, wenn wir uns gegenseitig 

den Glauben absprechen und Misstrauen säen.

 

Diskussionen, Streitgespräche, Auseinandersetzungen

zu Fragen des Bibelverständnisses dürfen sein, müssen sein.

Aber vielleicht noch wichtiger:

Persönliche Begegnungen, ehrliche Gespräche über das, was uns bewegt, 

damit wir uns in der Tiefe begegnen und verstehen.

 

Sobald ich denke, den richtigen Glauben zu haben,

sobald ich mich anderen überlegen fühle,

bin ich schon wieder ganz weit weg von dem, wie Gott sich das gedacht hat.

 

Ich habe den Glauben nicht wie einen Besitz.

Die biblischen Worte wollen immer wieder neu zu uns sprechen,

bleiben keine tote Lehre sondern werden lebendig.

 

Arbeitsmethoden,  theologische Programme, charismatische Persönlichkeiten 

- so gut sie auch sein mögen - 

sind nicht das, was uns verbindet als Christinnen und Christen,

darf nicht Gegenstand unseres Rühmens sein,

wenn wir damit besonders hervorstechen wollen und andere gering schätzen.

 

„Seht an eure Berufung“.

Paulus erinnert die Korinther an ihre Anfänge.

 

Es gibt in dieser Gemeinde nicht viele, 

die nach menschlichen Maßstäben klug oder einflussreich sind

oder aus einer angesehenen Familie stammen. 

Sklaven und sehr einfache Leute bilden die Mehrheit der Christen  in Korinth.

Alle können kommen, werden nicht verachtet.

In der christlichen Gemeinde leuchtet etwas auf von Gottes Liebe

zu allen Menschen ohne Ansehen der Person.

Das macht sie so anziehend.

Das ist Kriterium für die Gemeinde Jesu Christi.

 

Welch ein Gegenkonzept ist das,

zu den gesellschaftlichen Strukturen,

die sonst vorherrschten in Korinth.

 

Nicht Gott braucht das, dass er uns Menschen klein hält,

um selber groß zu sein. Das wäre ein Missverständnis.

 

Vielmehr ist es gerade umgekehrt:

Das ist der Mechanismus, 

der menschlichem Machtmissbrauch zugrunde liegt.

Die damalige Gesellschaft in Korinth funktionierte nach diesen Prinzipien:

Sklaven und Frauen, die sich prostituieren müssen,

werden klein und abhängig gehalten in diesem System der Macht.

 

Das sind die Mechanismen, 

die sich im alltäglichen menschlichen Miteinander finden:

Je kleiner, je geringer, mein Mitmensch dasteht,

desto größer und stärker fühle ich mich.

 

Allzu menschliche Reaktionen sind das,

die bis in die christlichen Gemeinden hineinragen 

und sich mit Fragen des Glaubens vermischen.

 

Bereits die Jünger Jesu fragten sich:

 „Wer ist der Größte unter uns?

Jesus stellte damals ein Kind in ihre Mitte.

 

Und Paulus hält dagegen:

„was verachtet ist, das hat Gott erwählt, 

was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist“

In unserer Stellung vor Gott hat keiner und keine von uns einen Vorteil.

Zu ihm kommen wir mit leeren Händen.

Das verbindet uns.

Wenn ich selber erwählt sein will,

dann als diejenige, die nichts vorzuweisen hat

und nichts vorzuweisen braucht.

 

Das ist Angriff auf alle, die ihre menschlichen Spielchen 

um Macht und Einfluss aufrecht erhalten.

Das ist aber auch Angriff auf alle,

die ihre Frömmigkeit in die Waagschale werfen.

Das ist Angriff auf den Stolz der Stolzen

und auf die Stärke der Starken,

„auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme“

 

Dieser Angriff auf die Stärke der Starken

ist jedoch zugleich auch Trost und Entlastung:

Ich brauche nicht immer

die Stärkste und Beste und Fitteste und Erfolgreichste sein.

Ich darf loslassen, meine Angst vor dem Abstieg.

Ich habe Würde und Wert, 

jenseits meiner Leistung und meines Ansehens.

 

Und finde ich nicht manchmal alle beide Seiten in mir?

Manchmal fühle ich mich stark und manchmal schwach.

Manchmal gelingt mir so viel

und manchmal muss ich mit Enttäuschungen 

und Niederlagen fertig werden.

Manchmal habe ich großes Vertrauen zu Gott

und manchmal wird mir alles aus der Hand geschlagen.

 

An Gottes Berufung findet mein Starksein seine Grenze:

Vergiss es nicht, dass du auch in deiner Stärke auf Gott bezogen bleibst,

der dir alle deine Gaben und deine Stellung geschenkt hat.

Du darfst dich daran freuen und sie nutzen,

nicht um andere klein zu halten,

sondern um sie in deine Gemeinschaft aufzunehmen.

 

An Gottes Berufung findet aber auch mein Schwachsein seine Grenze:

Vergiss es nicht, dass Gott dich sieht und dir Wertschätzung entgegen bringt 

und dich niemals fallen lässt.

Du Mensch, bist etwas Großes „wenig niedriger als Gott“,

so spricht es der Beter des 8. Psalms aus.

Deshalb erhebe dich aus dem Staube

und gestalte dein Leben im Rahmen deiner Möglichkeiten.

 

In aller Vielfalt unseres Glaubens und Lebens

zeigt Paulus uns unsere Mitte

und ruft uns in die Gemeinschaft mit Jesus Christus.

 

III

 

„Euch aber hat Gott zur Gemeinschaft mit Jesus Christus berufen“ 

so übersetzt es die Gute Nachricht.

Diese Gemeinschaft ist die Basis,

damit wir in aller Vielfalt und in allen Differenzen

die Achtung voreinander bewahren.

 

Gemeinschaft - nicht allein, 

nicht allein mit den Kränkungen und Verletzungen,

nicht allein mit der Überheblichkeit 

und dem größer und besser sein wollen,

nicht allein mit der Angst, Ansehen und Status zu verlieren,

Nicht allein mit dem zerstörten Selbstvertrauen,

nicht allein mit den Sorgen und dem täglichen Kampf

und mit den Fragen des Glaubens

 

Gemeinschaft mit dem, 

der uns mit all dem, was wir oft so sorgfältig verbergen,

nicht von sich stößt sondern annimmt 

und hineinnimmt in sein Lieben. 

 

In diesem Christus sind alle unsere Abgründe aufgehoben, 

sind alle unsere Schulden getragen, ist all das, 

dessen wir uns schämen müssen, bedeckt,

sind alle Unterschiede von Herkunft und Status aufgehoben.

Zu dieser Gemeinschaft will Paulus

die Christinnen und Christen in Korinth zurückführen.

 

„Ihr seid in Christus Jesus, der von Gott gemacht ist 

zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligkeit und zur Erlösung.“

(vgl. Luther Übersetzung 1984)

 

Was uns verbindet ist das, was keiner und keine selber tun kann,

sich weise, gerecht und erlöst und heilig sprechen.

Was uns verbindet, ist das, was Gott getan hat und immer noch tut, 

weil er immer wieder leere Herzen und Hände füllt.

 

Aus dieser Perspektive werden wir zutiefst solidarisch

und nehmen uns wahr als von Gott berufene Menschen

 

Ein bettlägriger Mensch im Pflegeheim - 

was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt

 

ein Baby, das behindert zur Welt kommt -

das Geringe vor der Welt, das hat Gott erwählt

 

der Obdachlose unter der Brücke -

was verachtet ist vor der Welt, hat Gott erwählt

 

die Sklavin aus der Gemeinde in Korinth, die sich prostituieren musste -

was töricht ist vor der Welt, hat Gott erwählt

 

ein Unternehmer, dessen Lebenswerk zerbricht -

was nichts mehr ist vor der Welt, hat Gott erwählt

 

Paulus, an dessen Händen Blut klebt, 

weil er die Christen verfolgen ließ -

wer schuldig geworden ist, den hat er erwählt zur Umkehr und zum Leben

 

Das Kind in der Krippe,

das uns am Weihnachtsfest immer wieder berührt,

von Gott erwählt.

 

Damit keiner und keine mehr sagen muss:

Ich bin zu gering, zu klein, zu armselig, zu schwach.

 

Jesus Christus, der sich zusammen mit den Sündern taufen lässt

und sich auf ihre Seite stellt, von Gott erwählt,

damit keine mehr sagen muss:

Ich bin zu sündig. Ich bin zu wenig fromm und viel zu zweifelnd.

 

Jesus Christus von Gott zum Maßstab gemacht, damit jeder sagen darf:

Ich gehöre zur Gemeinschaft mit Gott, 

und zur Gemeinschaft der Menschen, die er berufen hat.

 

Jesus Christus, der Gekreuzigte -

was vernichtet ist von der Welt, von Gott erwählt

 

Damit das, was nichts ist vor der Welt, doch was ist

Damit das, was zerstört ist, neu wird.

Damit das, was tot ist, lebendig wird.

 

In dieser Gemeinschaft sind wir „gemachte“ Menschen.

„Und wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn.“

 

Amen

 

_____

 

Literatur:

Luise Schottroff, Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth,

Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, Band 7, Verlag W. Kohlhammer 2013

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