Berufung
Predigt zu Jeremia 1,4-10
(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Auflage 2017)
4 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. 6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. 7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. 8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. 9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. 10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.
I
Gott kennt Jeremia schon immer.
Noch bevor er im Mutterleib anfängt zu wachsen,
da hat Jeremia schon einen Platz in Gottes Herzen eingenommen.
Wenn Gott zu Jeremia sagt,
dass er ihn zum Propheten bestellt hat,
dann bedeutet das nicht,
dass Jeremia eine Marionette ist in der Hand Gottes,
der die Fäden zieht und ihn springen lässt gegen seinen Willen,
der alle seine Schritte überwacht und kontrolliert.
Dann bedeutet dies, dass Jeremia wissen darf:
Von Anfang an hat mein Leben einen Sinn.
Ich darf dem nachspüren, was mich bewegt,
wahrnehmen, was mich berührt und auf diesem Weg weitergehen,
der mich erfüllt.
Ich darf meinen Platz im Leben finden.
Junge Menschen brauchen viel Schutz und Liebe,
damit das, was in ihnen angelegt ist, wachsen kann
und damit sie sich später etwas zutrauen.
Manchmal ist es schwierig, zu unterscheiden:
Denke ich zu klein von mir und traue mir gar nichts zu,
weil ich meine Gaben nicht kenne.
Oder überschätze ich mich selbst,
weil mir meine Schwächen fremd sind?
Und manchmal brauche ich Zeit für mich allein
oder ein Gespräch mit Menschen, um das herauszufinden.
Viele Menschen auf unserer Welt leiden unter dem Gefühl,
nicht gebraucht zu werden,
wenn sie lange Zeit arbeitslos sind,
wenn sie alt oder krank sind.
Das Nichts-tun-Können auf der einen Seite
und die Furcht vor der Größe der Aufgabe -
beides kann uns Menschen an unsere Grenzen führen.
In alle Unsicherheit aber sollen wir das mitnehmen,
was auch Jeremia gesagt ist.
Egal, wie Menschen mich beurteilen und verurteilen,
egal, was ich selbst manchmal von mir denke:
darauf kann ich zurückgreifen:
Gott kennt mich schon immer von Anfang an.
Noch bevor ich fähig bin, etwas zu leisten
und auch dann, wenn ich nichts mehr leisten kann,
bin ich ein wertvoller Mensch.
Von Gott geliebt. Von Anfang an.
II
Jeremia gehört nicht zu denen, die selbstbewusst voran stürmen.
Er fürchtet sich vor der Größe dieser Aufgabe, vor der er steht.
Er drängst sich nicht dazu, öffentlich aufzutreten,
sich vor Leute zu stellen und zu reden.
Trotzdem spürt er:
Er kann dem inneren Ruf nicht ausweichen.
Wie geht Jeremia damit um?
Er wagt es, seine Zweifel auszusprechen:
Mein Gott - wie soll das gehen?
„Ich bin zu jung.
Ich kann nicht reden.“
Andere wären viel besser geeignet.
Ich bin dieser Aufgabe doch gar nicht gewachsen.
Wird mein Glaube standhalten?
Und Gott?
Er hört Jeremia zu.
Er lässt ihn reden.
Er beschwichtigt ihn nicht und sagt:
„So schlimm wird es schon nicht werden.“
Gott weiß, dass uns dieses Leben einiges abverlangt.
Und er kennt unsere begrenzte Kraft.
Doch er erspart uns nicht, dieser Welt mit all ihren Gefahren zu begegnen.
Er nimmt auch Jeremia nicht von dieser Welt,
sondern mutet ihm dieses Leben zu.
Jeremia soll deshalb seine Kräfte nicht länger an seine Zweifel verschwenden.
Er soll sich dem Leben stellen und seine Begabung leben.
Deshalb: „Sage nicht: Ich bin zu jung.“
Vielmehr:
„Du sollst gehen,
wohin ich dich sende und predigen alles, was ich dir gebiete“.
Wir können ergänzen:
Sage nicht: Ich bin zu alt.
Sage nicht: Es hat doch alles keinen Sinn.
Sage nicht: Ich habe keine Gaben.
Sage vielmehr:
Von Anfang an bin ich in Gottes Herzen.
Mein Gott kennt mich und ist bei mir auf allen Wegen,
die vor dir liegen.
III
Doch kaum ein anderes Buch als die Bibel,
sieht auch so realistisch die Furcht des Menschen
und weiß, wieviel Zuspruch wir brauchen
und wie lange es manchmal dauern kann, bis der Zuspruch tiefer rutscht
und auch in unserem Herzen ankommt.
Jeremia hätte nicht Prophet sein können ohne die Erfahrung,
dass Gott ihn auch in seinem Herzen berührt,
so dass er sich tatsächlich auf den Weg machen kann.
Er gibt uns diese innerste Erfahrung seines Glaubens weiter:
„Und der Herr streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an
und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.“
„Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin bei dir und will dich erretten.“
Es ist anrührend, wie tief sich Gott herabbeugt, seine Hand ausstreckt
und sein Wort einem Menschen in den Mund legt.
Jeremia wird von Gott gefüttert wie ein Baby,
das von der Mutter ein Löffelchen Nahrung in den Mund geschoben kriegt.
Er soll dieses Wort in sich aufnehmen und verdauen.
Es verbindet sich mit seiner Person, ist in seine Menschlichkeit hinein verpackt
und geht durch ihn hindurch.
Jeremia macht es deshalb nicht wie ein Papagei,
der nachplappert, was ihm vorgesagt wird.
Er trägt eigene Verantwortung für das, was er sagt und tut.
Er findet eigene Worte, um das auszudrücken,
was ihm im Herzen brennt.
Jeremia spürt: er kann nicht schweigen. Er muss reden.
Er würde sich sonst selbst selbst verraten.
Er muss vor Fürsten und Könige treten, die ihn eigentlich gar nicht hören wollen,
wird gleichsam in die Höhle des Löwen geschickt:
„Geh in diese Höhle des Löwen.
Aber vertraue darauf, es gibt Einen, der dem Löwen, das Maul verbindet.
Dein Gott wird dir auch in der Dunkelheit deines Lebens,
Licht und Kraft und Hilfe sein.“
IV
Etwa im Jahr 627 v. Chr. beginnt dann seine Geschichte als Prophet
Das Volk Israel erlebte eine Zeit der Freiheit und Sicherheit.
Jeremia aber sieht die neue Großmacht Babylon
am Horizont heranziehen und begreift die Gefahr,
dem das Land ausgesetzt ist.
Er erkennt, dass sein Land auf eine Katastrophe zutreibt.
Er spürt die Brüche und Lügen zwischen
Frömmigkeit, Kult und Gottesdienst auf der einen Seite
und einem Leben, das die Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft
auf der anderen Seite vergisst.
Es schmerzt ihn, zu sehen wie Priester und Berufskollegen und Könige und Fürsten
gierig sind nach Macht und Geld und die Menschen im Land vergessen.
Er spürt, dass Größenwahn ihre Sinne vernebelt
und zu katastrophalen politischen Entscheidungen führt,
die ein ganzes Volk in den Abgrund treiben,
weil sich die Spirale schon viel zu weit ins Unvermeidliche hineingedreht hatte.
Wo alle „Heil“ rufen, spürt er: Es geschieht Unheil.
Glasklar sieht er diese Entwicklung
gegenüber all den falschen Propheten
und religiösen Überfliegern, die denken: Gott wird uns schon bewahren
Wie kein anderer sieht Jeremia,
dass Gott eben kein Wunder vom Himmel fallen lassen wird,
um sein Volk vor der Verbannung zu bewahren.
dass Gott eben keinen Finger krumm machen wird,
um seine Stadt Jerusalem und den Tempel, sein Haus,
in dem er doch selber wohnen wollte, zu retten.
Unzählige Male finden sich diese Mechanismen auch in unserer Gesellschaft.
Mit unserem ganzen Leben sind wir verwickelt in Strukturen,
die zerstörerische Spuren hinterlassen auf unserer Welt
und im Leben von Menschen.
Wie oft schon haben Menschen schon „Heil“ gerufen, obwohl doch Unheil war.
Ausreißen, einreißen, zerstören, verderben -
harte Worte werden gebraucht für das, was geschehen soll:
Ausreißen, was gewachsen ist an Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit.
Träume, Hoffnungen, Illusionen zerstören
die keine Hilfe sind, um das Leben zu bestehen.
Einreißen ein Glaube, der keinen Halt mehr gibt,
ein Gottesbild, das nicht mehr trägt, weil Gott uns Menschen nicht
aus der Verantwortung für unser Handeln entlässt.
Viele Menschen standen seither vor den Trümmern
ihres Glaubens und Lebens und mussten neu durchbuchstabieren,
was es mit diesem Gott auf sich hat, der so gar nicht aufgeht in dem,
was Menschen sich wünschen und erhoffen.
V
Ohne seinen Glauben hätte Jeremia sein Amt nicht ausüben können.
Und doch - diesen Glauben hat er nicht in seinem Besitz.
Dieser Glaube ist brüchig, allezeit gefährdet.
Das Drama seines Lebens besteht darin,
dass seine Berufung ihn nicht bewahrt vor großem Leiden.
Dass Gott ihm wortbrüchig scheint,
wie ein „trügerischer Born, der kein Wasser gibt“ (Jer 15,18b)
So wird er es später in seinen Klageliedern ausdrücken.
Er wird verlacht, verspottet, gefangen gehalten,
verschleppt, bis sich seine Spur irgendwann verliert.
Sein eigenes Leben ist verwoben mit dem Schicksal seines Volkes.
Er kriegt keinen Sonderstatus von Gott eingeräumt.
Er leidet an Gott, der ihn gerade nicht bewahrt vor dem Bösen,
das er doch einreißen soll,
der ihn gerade nicht zu retten scheint, so wie er es versprochen hat.
und der ihm schon gar nicht ein friedliches Leben schenkt.
Es gehört zum unergründlichsten der Liebe Gottes
wie sehr er sich selbst und sein Wort in dieser Welt preisgibt,
das wie kaum ein anderes missachtet, missverstanden und missbraucht werden kann.
„Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten“
wird Jesus Christus später einmal sagen
und kurz darauf wird er gefangen genommen.
Nicht anders erging es vielen seiner
Nachfolgerinnen und Nachfolgern bis heute.
Journalisten und Oppositionelle,
müssen in vielen Staaten der Welt mit Verhaftung rechnen,
weil sie sagen, was die Herrschenden nicht hören wollen.
Sie werden als Bedrohung erlebt, weil sie ein Stachel sind im Gewissen
und in Systemen voller Unrecht und Gewalt.
Was entwickelt sich bei uns heute am globalen Horizont?
Setzt nicht die Gier nach Profit, so viel Unrecht in Gang:
Menschenrechte werden schamlos mit Füßen getreten,
Tiere fristen ein furchtbares Dasein, die Umwelt wird zerstört,
Kriege angeheizt.
Nicht nur ein biologisches Virus
sondern auch ein geistiges Virus bedroht
und spaltet unsere Gesellschaft.
Es ist für Politikerinnen und Politiker
in demokratischen Systemen nicht leicht,
mit ihrer Verantwortung umzugehen
und besonnene und kluge Entscheidungen zu treffen.
Und es ist wahrlich nicht immer leicht,
die wahren von den falschen Propheten zu unterscheiden,
und zu erkennen, welchen Aussagen wir vertrauen können
und welches gefährliche Parolen sind.
VI
Jeremia konnte keinen Beweis vorlegen,
dass diese Stimme, die so eindringlich in seinem Herzen sprach,
wirklich Gottes Stimme war und nicht eine anmaßende Selbsttäuschung.
Letztlich hat sich seine Botschaft in der Geschichte seines Volkes bestätigt.
Es folgten lange, bittere Jahre in der Verbannung,
und es brauchte viel Zeit, bis auch diese Erkenntnis wachsen konnte:
„Gottes Güte ist es, dass wir nicht gar aus sind.
Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende.“ (Klgl 3,22)
Vielleicht würde Jeremia uns heute zurufen:
Ihr Christinnen und Christen heute,
ihr habt doch auch eine Berufung.
Ihr seid Berufene Jesu Christi.
Seine Worte und Taten wollen auch euren Mund berühren
Nehmt sie auf und bewegt sie in euch,
bis sie lebendig werden in eurem Herzen.
Ihr seid berufen, eure Gaben, zu entdecken und dazu beizutragen,
dass gebaut und gepflanzt wird,
was gut und genießbar ist und zum Leben hilft.
Ihr seid berufen, in eurem Alltag, bei eurer Arbeit, in Beruf und Familie,
in Schule und Freizeit Verantwortung zu übernehmen
und nach dem zu suchen, was der Gerechtigkeit und dem Frieden dient.
Und vergesst dabei nie:
Am Ende steht nicht das Ausreißen und Einreißen.
Am Ende auch dieses PT stehen die Worte vom Bauen und Pflanzen.
Am Ende wächst ein Glaube, der trägt,
am Ende bleibt da ein Gott, der auch in allen Katastrophen des Lebens
bei euch ist und bei euch bleibt.
Am Ende steht die Gewissheit:
Gott gibt niemanden auf.
Er geht mit euch.
Dafür steht Jesus Christus mit seinem Leben und Sterben
und seinem Auferstehen.
Deshalb:
Fürchte dich nicht. Er ist bei dir. Er wird dich retten.
Amen
Lied 635,1-5: Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut
Fürbitten
Gütiger Gott,
Du schenkst uns deinen Zuspruch
Und du beanspruchst uns – alle Tage neu.
Schenke Weisheit, schenke Mut,
damit wir beides annehmen können,
den Trost und die Hilfe, die du schenkst;
aber auch die Herausforderung,
und die Aufgaben, die du uns zumutest
Schenke Weisheit, schenke Mut,
- den jungen Menschen,
die ihren Platz in ihrem Leben suchen,
damit sie eine Aufgabe finden, die ihnen entspricht
- den alten Menschen,
die sich nicht mehr gebraucht fühlen,
- den Arbeitslosen, die sich nutzlos vorkommen,
damit sie sich nicht aufgeben.
Schenke Begegnungen, die getragen sind von
Achtung und Respekt und uns spüren lassen:
Du bist bei uns.
Schenke Weisheit, schenke Mut,
den Politikerinnen und Politikern
und allen, die öffentliche Verantwortung tragen,
dass sie besonnene Entscheidungen treffen können
in dieser schwierigen Zeit.
Schenke Weisheit, schenke Mut,
den Gequälten und Gefolterten,
die gewagt haben, einzutreten für Recht und Gerechtigkeit
und an ihrem Leiden zerbrechen,
weil sie deine Hilfe nicht mehr spüren.
Schenke Weisheit, schenke Mut,
dass wir ihre Not an unser Herz nehmen
und nicht aufhören für sie zu beten und zu hoffen,
wo sie es nicht mehr können.
Schenke Weisheit, schenke Mut
damit falscher Wahn und gefährliche Ideologien
ausgerissen werden können
und gebaut und gepflanzt werden kann,
was Bestand hat und trägt,
damit dein Reich komme und dein Wille geschehe
wenn wir jetzt beten mit den Worten,
die Jesus Christus uns gelehrt hat
Vaterunser