top of page

Wider die Nepper, Schlepper, Bauerfänger oder:

Die Großzügigkeit Gottes

Predigt zu Jesaja 55,1-5 

 

(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Fassung 2017)

 

551 Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! 2 Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. 3 Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. 4 Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. 5 Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.

 

I

 

Liebe Gemeinde

 

„Alles muss raus - 50% Rabatt“

so blickt mir der Flyer entgegen und will mich zum Kauf bewegen.

 

„Sie haben gewonnen“ so tönt es aus dem Telefon.

Ein Haus, eine Reise, ein Auto wird mir in Aussicht  gestellt -

vorausgesetzt ich nehme am Gewinnspiel teil 

und ziehe das richtige Los…

 

„Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser.

Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst!“ 

so ruft der Prophet in unserem heutigen PT.

 

Seine Worte sind jenen Marktschreiern nachempfunden,

die mitten im bunten Trubel eines orientalischen Basars auftreten.

 

Die Händler bieten ihre Waren feil.

Viele Stimmen rufen durcheinander.

Jede will verkaufen. Jeder will Geschäfte machen

und preist seine Ware als die beste und die billigste an.

 

Die Wasserhändler verkaufen Wasser aus ihren Zisternen.

Im Unterschied zu frischem Quellwasser 

schmeckt es brackig und abgestanden.

 

Doch wenn die Hitze unerträglich ist und die Zunge am Gaumen klebt -  

wir können das in diesen heißen Tagen ein bißchen nachempfinden -

sind auch wir froh über das warme, abgestandene Wasser aus der Plastikflasche, 

wenn gerade kein kühler, frischer Drink aus dem Kühlschrank zur Verfügung steht.

 

Und wie schon zu allen Zeiten:

Die Preise steigen, wenn die Ware knapp ist,

und diejenigen, die kein Geld haben, gehen leer aus.

 

Auch heute ist das so in den Dürregebieten unserer Erde,

wo die Tiere verenden und die Menschen qualvoll sterben,

zuerst die Kinder und die Kranken,

weil es an frischem Wasser und Lebensmitteln fehlt

 

„Wasser ist ein Menschenrecht“, 

haben die Vereinten Nationen erklärt.

Unsere Wasserhändler heute sind die Großkonzerne.

Sie erwerben weltweit die Nutzungsrechte 

und fahren satte Gewinne ein, während die Menschen, 

die kein Geld haben, abgeschnitten sind vom Leben.

 

II

 

Quer stehen die Worte des Propheten

und widersprechen dem, was sonst gilt auf unserer Welt.

 

Nicht nur billig, super günstig, 

nein: umsonst bietet der Prophet an,

was man normalerweise teuer bezahlen muss.

Nicht nur „Wasser und Brot“, 

nicht nur magere Gefängniskost, 

sondern Wein und Milch, die ganze Fülle an Köstlichkeiten

hat der Prophet umsonst im Angebot.

Hat er keine Angst, 

dass seine Ware auf diese Weise wertlos verschleudert wird?

 

„Hört doch auf mich, 

so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.“

 

Martin Luther übersetzt im Jahre 1546:

„Esset das Gute, so wird eure Seele in Wollust fett werden“, (1)

 

Dasselbe Wort, das mit „Seele“ übersetzt ist,

kann im leiblichen Bereich auch „Kehle“ bedeuten:

Die Seele soll von Fett triefen,

die Kehle sich am Köstlichen laben.

 

Vollen Genuss verheißt dieser Rufer auf dem Markt.

Beide, Leib und Seele gehören zusammen.

Beide sollen satt werden.

Die Bibel hat immer den ganzen Menschen im Blick.

 

Denn wenn die materielle Grundlage fehlt, 

wird auch die Seele kaum fett werden.

 

Wenn Menschen tagaus tagein arbeiten

und das Geld reicht trotzdem nicht,

wird sich kaum das Gefühl einstellen,

etwas umsonst zu bekommen,

dann scheint die Arbeit umsonst gewesen zu sein.

 

Doch umgekehrt gilt es eben auch:

Wenn ich  unglücklich und einsam bin,

werden mir all die Köstlichkeiten, die ich mir leisten kann

und all das, was ich mir erarbeitet habe,

bald auch nicht mehr schmecken.

 

„Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist,

und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?“

 

Trotz Wasser und Wein und Milch und Kuchen und Sahne

kann ich auch inmitten des materiellen Wohlstands verhungern.

 

Der Hunger nach Leben kann so groß sein,

dass ich auch Geld ausgebe für Dinge, die mir nicht gut tun.

 

Alle Dinge können zur Droge werden,

die bald nach „Mehr“ schreien

und mich doch immer wieder leer zurück lassen.

 

Mehr Essen, mehr Trinken,

mehr Geld, mehr Macht, mehr Einfluss, mehr Erfolg,

mehr Liebe, mehr spirituelle Erfahrung….

 

III

 

„Höret, so werdet ihr leben.

so ruft der Prophet seinem Volk zu.

 

Welche Worte hören wir auf dem Markt unseres Lebens?

Welchen Stimmen können wir vertrauen?

 

Die Israeliten, die der Prophet zum Hören bewegen will, 

leben in Babylon in der Verbannung.

Verschleppt. Verbannt. Vertrieben aus der Heimat.

Die weltpolitische Lage ändert sich,

aber noch haben sie keine Hoffnung, 

dass sich ihre Lage ändern könnte.

 

Wie ein Basarverkäufer muss sich der Prophet 

zwischen vielen anderen Stimmen durchsetzen:

 

Nepper, Schlepper, Bauernfänger versprechen Vieles,

bei dem wir später teuer draufzahlen.

Umsonst  haben wir doch noch nie etwas bekommen,

Was nichts kostet, ist nichts wert,

so könnten jene anderen Stimmen klingen.

Alles, was uns etwas bedeutet hat, ist untergegangen                                    

Vorbei ist die glorreiche Zeit Davids, in der es uns gut ging.                                                

 

Hat Gott uns nicht verraten, als er uns dieses Schicksal zugemutet hat?

 

Es gibt Situationen, da bin ich gefangen in meinem eigenen Babylon.

Da hören meine Ohren, 

aber ich kann die Worte, die mir Leben verheißen, nicht aufnehmen.

 

IV

 

Der Prophet erkennt:

Was sein Volk in dieser Lage braucht,

ist bedingungslose Zuwendung:

einen stabilen Halt von außen, der sie auffangen und tragen kann

mit ihrer Sehnsucht und ihren Fragen,

mit ihren Zweifeln und ihrer Last.

 

Wenn die Stimmen der Bitterkeit  

und Resignation und Wut und Angst 

nicht unterdrückt werden müssen, sondern Gehör finden,

erfahre ich Entlastung und Erleichterung,

kann mich wieder öffnen auch für diese Stimme,

die Mut zum Leben schafft.

 

Inmitten von Hunger und Durst des Lebens

schließt Gott einen Bund mit seinem Volk

und stellt solch eine feste Beziehung her,

wie einen Anker, an dem sie sich festhalten

mit dem sie verbunden sind,

wenn alles um sie herum verschwimmt

oder die Fluten sie überschwemmen.

 

Leben sollt ihr, nicht untergehen,

sagt seine Stimme.

Zukunft und Hoffnung werdet ihr haben.

Einen Weg aus Babylon heraus finden.

 

„Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen,

euch die beständigen Gnaden Davids zu geben.“

 

Vorbei ist die glorreiche Zeit Davids.

Das stimmt ja wohl.

Aber nicht vorbei ist Gottes Zeit.

Gott ist nicht mit den guten, alten Zeiten untergegangen.

Seine Güte ist beständig und auch heute für uns da.

 

Wo ich staunend erlebe, 

dass mir Gutes geschenkt wird

dass mein Leben bewahrt geblieben ist,

dass Mitmenschen mir freundlich und gnädig begegnen,

da wird die Gnade Gottes geerdet,

da wird diese Stimme, die mir sagt, 

dass Gott mir herzlich, gütig und freundlich zugewandt ist,

in meinem Leben erfahrbar.

 

Wasser und Brot und Wein und Milch -

sie stehen für das, was wir für Geld nicht kaufen können

und doch so dringend brauchen:

Zuwendung - Solidarität - Hoffnung - Glaube

Güte - Freundlichkeit ….

 

Sie stehen aber auch für Essen und Trinken und

Wohnung und Kleidung, die wir ebenfalls zum Leben brauchen.

 

Dankbarkeit ist der Schlüssel dafür, 

dass diese Gaben nicht zur Droge werden, die Leben zerstört,

sondern dass sie dem Leben dienen, weil ich auch sie als Geschenke

aus Gottes Hand empfange.

 

Wer aber sind nun die Nepper, Schlepper, Bauernfänger?

Es sind die Stimmen, die uns einflüstern, 

dass das, was der Prophet verspricht, irreale Utopie sei;

die behaupten, Gott sei klein und mickrig und knausrig,

er würde uns kurz halten, damit es uns nicht zu gut geht.

 

Es sind diejenigen, die uns glauben machen wollen,

wir müssten unseren Wert und unsere Würde als Mensch 

erst unter Beweis stellen, wir hätten einen harten Gott, 

der Opfer fordere von uns.

 

V

 

Quer dazu stehen die Worte Propheten.

Er widerspricht den Prinzipien,

die sonst gelten auf dem Markt des Lebens.

 

Nicht aus Mickrigkeit und Knausrigkeit und Engherzigkeit heraus

finden Menschen zum Leben.

 

Aus Überfluss und Großzügigkeit entsteht diese Strahlkraft,

die alle Menschen an Gottes Tisch ruft, der reichlich gedeckt ist.

 

Nicht das Ausgebranntsein,

sondern die geschenkte Zuwendung macht Menschen fähig,

sich auch anderen  zuzuwenden

 

„Du wirst Völker rufen, die du nicht kennst,

und Völker, die dich nicht kennen, 

werden zu dir laufen um des Herrn willen, deines Gottes, 

und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat“.

 

Auf dem Kirchentag habe ich erlebt,

dass Tausende Menschen, die sich nicht kennen, zusammen kamen.

Hunderte von ihnen standen immer wieder an den U-Bahn-Stationen Schlange,  um zu den Veranstaltungen in Dortmund zu gelangen.

 

Und plötzlich stimmte jemand ein Lied an:

Lobet und preist ihr Völker den Herrn

Lasst uns miteinander,  singen, beten, loben den Herrn

Laudate omnes gentes: Lobt Gott, ihr Völker alle

 

Die Unterführung des Bahnhofs war erfüllt von diesen Stimmen. 

Die Stimmen der Ungeduld oder Langeweile oder des Murrens, 

die sich auch geregt haben mögen,

haben sich in einen Lobpreis Gottes verwandelt.

 

Sie wurden zu Zeugen für den Gott,

der seinen Bund mit Israel weit geöffnet hat für alle Völker,

auch für uns.

 

Über 30.000  Menschen kamen letzten Sonntag aus allen Richtungen 

ins Stadion zum Abschlussgottesdienst.

Fremde gaben einander die Hand 

und reichten einander Brot und Wein 

als Zeichen der Versöhnung und des Friedens.

 

VI

 

Der Blick des Propheten geht jedoch noch viel weiter:

Er sieht die Völker der Welt zusammen strömen.

Sie finden zu einer Gemeinschaft und lernen sich kennen

in ihrer Sehnsucht nach Leben.

Und kein Volk muss mehr Angst haben vor dem andern

und keines wird sich mehr benachteiligt fühlen.

 

Sie werden miteinander teilen, 

was sie brauchen für Leibe und Seele.

Alle werden sie essen und trinken, und es wird für alle reichen. 

 

Sie werden dieser Stimme vertrauen lernen, 

die ihnen sagt, dass sie  herrlich gemacht sind.

Sie wissen um ihren Wert 

und brauchen andere nicht mehr nieder machen, 

um selber groß zu sein.

Sie werden Leben schützen statt zerstören.

Sie werden Worte finden, die aufrichten statt töten.

 

Durch seine Vision weckt der Prophet unsere Sehnsucht 

nach solchem Leben.

Er motiviert uns, von diesem Ziel her zu leben

und in unserer Kirche und unserer Gesellschaft

immer wieder Schritte in diese Richtung zu gehen

mitten im Alltag, wo wir einander begegnen.

 

Jesus hat dieser Stimme des Propheten Gestalt verliehen, 

wenn er den Hungernden Brot und Fisch zu essen gibt,

und den Hochzeitsgästen Wein zu trinken,

wenn er die Leidtragenden tröstet 

und den Zolleinnehmern Gemeinschaft anbietet.

 

Wenn die Armen und Verkrüppelten und Blinden

und diejenigen, die an den Gassen und Zäunen stehen, 

eingeladen werden zum großen Festmahl an Gottes Tisch

- wir haben das Gleichnis vorhin gehört - 

dann knüpft er an diese Vision des Propheten an

und macht die Türen des Festsaals weit auf.

 

Und wenn Jesus in unserem Wochenspruch 

die Mühseligen und Beladene in seine Nähe ruft,

dann hören wir jene Stimme, 

die auch uns in allen Nöten und Ängsten

Zukunft und Hoffnung gibt;

Dann verbindet er uns mit diesem 

„Heiligen Israels, der (auch) dich herrlich gemacht hat.“

 

Amen

___

Literatur:

Heinz Janssen, Predigt zu Jesaja 55,1-5 in: Göttinger Predigten im Internet vom 24.06.2001 in: http://www.theologie.uzh.ch/predigten/archiv-3/010624-3.html

(1) Ebd.

Julia Koll, Göttinger Predigtmediationen vom 30.06.2019, Ein unwiderstehliches Angebot

bottom of page