Welches Ende?
Predigt zu Matthäus 24,1-14 2. Advent 2016
Unser Predigttext steht zu Beginn verschiedener Texte, die in der Lutherbibel mit „Jesu Rede über die Endzeit“ überschrieben sind. Ich lese Mt 24,1-14
1 Und Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. 2 Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.
3 Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? 4 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. 5 Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. 6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. 7 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. 8 Das alles aber ist der Anfang der Wehen.9 Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern. 10 Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. 11 Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. 12 Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. 13 Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. 14 Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.
(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Fassung 1984)
I
Liebe Gemeinde
Welch ein Text!
„Dann wird das Ende kommen“ so die letzten Worte Jesu in diesem Abschnitt
Das Ende. Beharren bis zum Ende.
„Welches Ende?“ fragen wir vielleicht.
Was lösen diese Worte Jesu in uns aus?
Verstärken sie die Angst vor einem Katastrophenszenario:
Die Angst vor Krieg - auch bei uns ?
Die Angst vor Terror, ausgeübt von Menschen,
die sich haben verführen lassen?
Die Liebe wird in vielen erkalten.
Aber erkaltet sie bei mir nicht jetzt schon immer wieder?
Spüre ich nicht die Grenzen meines Glaubens, Hoffens und Liebens
auch ohne dass ich verfolgt oder gehasst oder unter Druck gesetzt werde?
Möchte ich lieber nicht, dass Jesus wiederkommt,
weil ich nicht weiß, auf welche Seite er mich stellt an diesem Ende,
rechts oder links, auf die Seite der Schafe oder Böcke?
Oder machen mich solche Gedanken zornig?
Denn wie oft wurden nicht schon Menschen manipuliert
und Gewissen geängstigt mit Szenen eines drohenden Weltenendes
Doch nimmt uns andererseits nicht unser jetziges Leben so sehr in Anspruch,
dass wir oft gar nicht weiter denken können als bis zur nächsten Stunde?
Viele Menschen fragen sich: Wie komme ich nächsten Monat über die Runden.
Da bleibt doch kein Raum und keine Zeit mehr, an das Weltende zu denken.
Ausharren müssen wir in Situationen, die wir nicht ändern können.
Aktive Beharrlichkeit ist gefordert, damit wir die Schwierigkeiten bewältigen können,
denen wir auf unserem Weg begegnen
und damit wir die Dinge ändern können, die wir ändern müssen.
Was kann uns dabei helfen, dass wir einen Weg finden,
der zu einem guten Ziel führt?
Die ersten christlichen Gemeinden haben leidenschaftlich darauf gewartet,
dass Jesus Christus sein Reich bald vollenden wird,
das doch so hoffnungsvoll begonnen hat.
Doch wie hart wurde dieses Warten für sie!
Die Jahrzehnte vergingen.
Die römische Unterdrückung ging weiter.
Durch ihre maßlosen Steuerforderungen provozierten die Römer einen jüdischen Aufstand.
Es kommt es zu einem furchtbaren Krieg zwischen Unterdrückern und Unterdrückten.
Im Jahre 70 n. Ch. wurde der jüdische Tempel von den Römern zerstört,
übrig blieb nur noch die Westmauer, die heute noch als Klagemauer und Mahnmal steht.
Nach dem Historiker Josephus verloren damals 1,1 Mio Menschen ihr Leben,
die meisten davon Juden.
II
„Jesus ging fort aus dem Tempel“
Bedeutungsschwer hängt angesichts dieser Katastrophe
dieser erste Satz unseres Predigttextes in der Luft.
Mit dem Tempel ist für den jüdischen Glauben
und auch für die ersten Christen mehr zerstört als nur ein Gebäude.
Zerstört ist die Hoffnung auf Gottes Zukunft mit seinem Volk.
Hat Jesus sein Volk verlassen?
Ist das das Ende Gottes mit seinem Volk?
Müsste Gott dann nicht aber erst Recht auch mit allen anderen Menschen
und auch mit seiner Kirche zu Ende sein?
In die Fragen und in die Ängste der Menschen hinein
schreibt Matthäus sein Evangelium.
Eben erst war Jesus in Jerusalem eingezogen.
Eben erst hat er die Händler aus dem Tempel hinausgetrieben
und die Blinden und Lahmen geheilt.
Eben erst haben sie einen Lichtstrahl gesehen vom Reich Gottes.
Und jetzt geht Jesus fort vom Tempel.
Die Jünger zeigen ihm die Gebäude des Tempels,
so als wollten sie ihn an diesem Ort festhalten.
So als wollten sie sagen:
Bleib doch da.
Das wäre doch der Ort, um alles zu vollenden, was du begonnen hast.
Herodes d. Gr. hat den Tempel in nie da gewesener Pracht
umbauen und umgestalten lassen.
Doch Jesus fragt seine Jünger verwundert zurück:
Seht ihr nicht das alles?
Seht ihr denn nicht, dass mein Reich
und der Prunk eines Gewaltherrschers nicht zusammen passen?
Seht ihr denn nicht, dass im Licht Gottes auch alle Tyrannen und ihre Glitzerfassaden
entlarvt sind als das, was sie sind: Vergänglich und dem Ende geweiht?
Seht ihr denn nicht, dass hier kein Stein auf dem andern bleiben wird?
Und braucht es Gott für solch ein Ende?
„Seht ihr nicht das alles?“
Für viele Entwicklungen braucht man nicht unbedingt ein Prophet zu sein.
Wir können voraussehen, dass es nicht gutgehen wird,
wenn die Einen auf Kosten der Anderen leben.
Dass Krieg wieder zu Krieg führt
und Gewalt wieder Gewalt auslöst ist eine Binsenweisheit.
Seht ihr nicht, dass das alles zwangsläufig
zu keinem guten Ende führen muss?
Jesus beschönigt nichts.
Seine Worte könnten auch Teil der Zeitung
oder einer Nachrichtensendung heute sein.
Krieg und Hunger sind menschenverschuldet
und bringen unendliches Leid über so Viele.
Erdbeben sind die schlimmsten Naturereignisse,
denen wir nach wie vor machtlos ausgeliefert sind.
Und inmitten all der globalen Krisen und Brennpunkte
stehen die unzähligen persönlichen Tragödien und Einzelschicksale,
in denen Menschen vor ihrem inneren und äußeren Trümmerfeld stehen und sagen:
Wir sind am Ende. Ich bin am Ende.
III
Wir können die Frage der Jünger dann nur zu gut verstehen:
Wann wird das geschehen?
Was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt?
Wann wird es geschehen, dass du Jesus alles wieder gut machst,
was zerbrochen ist auf der Welt und in unserem Leben?
Wann wird es geschehen,
dass du auch meinen wackligen Glauben
und meine erkaltete Liebe und meinen fehlenden Mut
hinein nimmst in dein Heil und in deinen Frieden?
Wir schaffen das doch gar nicht selber.
„All unsre Not zum End er bringt“, so singen wir es immer wieder im Advent
und richten unsere Hoffnung auf den kommenden Erlöser.
Und spiegelt nicht all unser Planen und Vorbereiten in der Adventszeit
all unser Suchen nach Geschenken,
alle Hetze, über die wir manchmal auch stöhnen,
spiegelt nicht all das auch etwas wider
von dieser Sehnsucht nach heilem Leben,
das uns versprochen ist und doch noch aussteht,
und von der Hoffnung, dass wir dann wenigstens in dieser Heiligen Nacht,
einen Vorgeschmack bekommen von diesem Frieden der uns verheißen ist?
Aber Jesus antwortet nicht nach dem „Wann“ seines Kommens.
Er sagt auch nicht, dass die Zerstörung des Tempels
oder irgendeine andere Katastrophe mit seinem Kommen zusammenfällt.
Jesus sagt stattdessen:
„Seht zu, dass euch nicht jemand verführe“.
Er weiß, wie sehr Menschen nach Erlösung schreien
und anfällig werden für trügerische Heilsversprechen von falschen Christussen,
die ihre eigene, heile Welt nach ihren Regeln errichten wollen,
andere unter Druck setzen, Gewalt ausüben
und diejenigen ausgrenzen, die nicht ins System passen.
Und wie oft geschah auch das schon in der Geschichte der Menschheit,
dass die Religion instrumentalisiert wurde, zum Zwecke der eigenen Macht,
auch in der Geschichte der Kirchen, nicht nur im Islam.
Jesus macht uns bewusst, dass unerfüllte Hoffnungen und bittere Enttäuschungen
anfällig machen für Verführer, die sich so aufführen als seien sie selbst der Christus,
als seien sie selbst der Messias, der Heil und Leben bringt
und alle Sehnsucht, wonach Menschen dürsten, stillen kann.
Er kennt diese Gefahr, dass Menschen schreien nach einem „starken Mann“,
der alle unsere Probleme löst.
Wie oft gab es schon solche „Führer“ in der Geschichte!
Mit Sorge beobachten wir den Rechtsruck,
der auch durch unser Land geht, genährt durch Angst und Populismus.
Jesus weiß, dass unsere menschliche Realität
so hart sein kann, dass sie uns innerlich und äußerlich aus dem Tritt bringen
und allen Glauben und alle Hoffnung und alle Liebe aus dem Herzen reißen kann.
Er weiß, dass Not nicht nur beten sondern auch fluchen lehrt,
dass Not nicht nur barmherzig sondern auch bitter und hart machen kann,
dass Menschen einander hassen, sich verraten,
wenn alle Gesetze der Mitmenschlichkeit außer Kraft gesetzt werden
und dass dies alles auch in unsere Kirchen hineinragen kann,
weil auch wir Teil unserer Welt sind.
Das Erkalten der Liebe - fängt das nicht schon im ganz Kleinen an,
mitten in unserem Alltag, dort wo schlecht übereinander geredet, verleumdet,
gemobbt, ausgegrenzt wird, dort wo Menschen einander das Gute neiden
und dort wo uns der Mut fehlt im rechten Moment Zivilcourage zu zeigen und zu widersprechen?
Und wie tröstlich ist es auf einmal, dass Jesus diese unsere Not anspricht und nicht ausklammert.
Wie tröstlich, dass Jesus uns nicht alleine lässt, mit dem, was uns bewegt und an unsere Grenzen bringt, sondern das alles hineinnimmt in seine Fürsorge.
Denn wie trostlos wäre tatsächlich das alles,
wenn Jesus nicht noch mehr sagen würde,
als das, was wir im Grunde doch wissen.
IV
Mittendrin in diesem Katastrophentext stehen Worte,
die er uns mitgibt und die uns helfen wollen,
immer wieder das Licht im Tunnel zu finden.
„Seht zu und erschreckt nicht. Denn es muss geschehen.
Aber es ist noch nicht das Ende.
Das alles aber ist der Anfang der Wehen“
Seht doch, die Katastrophen, der Verrat, die Verführung,
aber auch unsere Lieblosigkeit, mein wackliger und brüchiger Glaube
das ist nicht das Ende.
Sie stehen nicht am Ende der Geschichte Gottes mit den Menschen.
Braucht es Gott für ein Trümmerfeld?
Nein, wenn Gott kommt, dann ist das das Ende aller Trümmer.
Wenn Gott kommt, dann ist das das Ende aller Tyrannen und falscher Christusse
Wenn Gott kommt, dann ist es das Ende des Hasses und des Verrats und der Lieblosigkeit
und auch all unserer Ratlosigkeit und Zweifel und Angst.
Wenn Gott kommt, dann sind die Wehen vorbei,
dann ist das der Beginn des neuen Lebens im Licht seiner Liebe.
Die Engel haben es den Hirten auf den Feldern bereits zugerufen,
dass sie nicht erschrecken sollen
im Angesicht seines Erscheinens
„Fürchtet euch nicht, siehe ich verkündige euch große Freude,
die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren“,
so werden wir es bald wieder hören.
Dieser Heiland ist ja schon hineingeboren in diese Welt,
von Maria, einem jüdischen Mädchen.
Sie lag bereits in Wehen und hat das neue Leben zur Welt gebracht.
Damit haben die Wehen begonnen.
Damit hat es angefangen, dass all diese Not auf unserer Welt,
uns nicht zerstören soll sondern neues Leben hervorbringt
Wenig später schon ist die junge Familie auf der Flucht,
verfolgt von dem grausamen Herodes.
Und wir fragen vielleicht Jesus zurück:
Dies alles, alle Angst, alle Not, alle Ungerechtigkeit - Teil einer Wehe?
Und oft können wir doch gar nicht anders als aus tiefstem Herzen zu seufzen:
„Das hätte nicht auch noch sein müssen!“
Wenig später nach diesen Endzeitreden,
wird Jesus selbst verraten, ausgeliefert an seine Feinde.
Hat das so sein müssen, weil das Evangelium nicht sanft und harmlos ist?
Weil das Evangelium ein Angriff ist gegen alle Menschenverachtung und Grausamkeit?
Weil das Evangelium den Anspruch und die Macht der Mächtigen und falschen Christusse
in Frage stellt und ihre Feindschaft provoziert?
Was hilft uns aber, diese Wehen auszuhalten,
die sich oft so unerträglich in die Länge ziehen,
dass wir eben nicht mehr guter Hoffnung sind
sondern glauben könnten eine Totgeburt stehe im Raum?
Was hilft uns in dieser unserer Endzeit zu bestehen?
Gerade heute? Gerade in unserem Alltag?
Jesus sagt uns:
Die Predigt des Evangeliums für alle Völker.
Mehr nicht? Mehr nicht!
Bis zur Geburt wird das Evangelium gepredigt in Wort und Tat.
Mitten in der Dunkelheit ist das Evangelium die Botschaft,
die uns tröstet und hilft und stärkt.
Mitten in der Dunkelheit ist das Evangelium wie ein Lichtstrahl der Liebe Gottes,
der jetzt schon aufleuchtet, ein Lichtstrahl, der Liebe, die nie erkalten wird,
sondern glüht und nie mehr verlöscht.
Ein Lichtstrahl von dem Gott, der das Leben und den Frieden und die Liebe
für sein Volk und für alle seine Völker will.
Die Botschaft, dass Gott rettet, bewahrt, erlöst
und aus den Trümmern des Tempels eine neue Wohnung baut,
in der alle Menschen Platz haben werden.
Die Botschaft, die uns Mut gibt, Jesus nachzufolgen
und in der Dunkelheit und Ungerechtigkeit auf unserer Welt
Widerstand zu leisten gegen das Erkalten der Liebe.
Ein Licht anzünden für diejenigen, die unsere Hilfe brauchen:
unsere Fürbitte, unsere Besuche bei Menschen, die Trost und Hoffnung suchen,
ein Anruf, ein Brief, ein Lächeln - wie solch eine kleine Kerze, die Licht spendet.
Unsere Gemeindegruppen, in denen wir uns treffen,
in denen wir uns gegenseitig stärken und helfen
und Projekte auf den Weg bringen,
all das wirkt dem Erkalten der Liebe entgegen.
Alle Dialogversuche mit Andersdenkenden und Andersglaubenden,
unsere Offenheit für Fremde und Flüchtlinge,
all das ist ein Zeichen für das Evangelium, das die Versöhnung sucht.
Das Evangelium - wie ein Leuchten am Nachthimmel,
so dass wir jetzt schon ein wenig von dem sehen können,
was uns oft so dunkel und verschlossen scheint:
Musste nicht Christus diesen Weg gehen auf unserer Welt,
damit auch wir beharrlich weitergehen können
auf unserem Weg des Glaubens und der Liebe?
Musste er uns nicht durch sein Leiden zeigen,
dass diese Wehen nicht das Ende sind
sondern der Beginn neuen Lebens, das zur Welt kommen will?
„Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“
Dieses Versprechen gibt er uns mit, damit wir nicht alleine sind.
Dieses Evangelium wird gepredigt allen Menschen und Völkern.
Auch im nächsten Lied singen wir davon:
„Das Volk, das noch im Finstern wandelt,
bald sieht es Licht, ein großes Licht“
Amen
Literatur
Dietrich Bonhoeffer, Gesammelte Schriften, Bd. IV, hg. von Eberhard Bethge, München 1961, S.34-44.