Barfuß im Herzen unterwegs zu Gott
Predigt zu Psalm 84 anläßlich eines Kirchweihfestes
(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Auflage 2017)
2 Wie lieblich sind deine Wohnungen, HERR Zebaoth!
3 Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des HERRN;
mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.
4 Der Vogel hat ein Haus gefunden
und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen –
deine Altäre, HERR Zebaoth, mein König und mein Gott.
5 Wohl denen, die in deinem Hause wohnen;
die loben dich immerdar.
6 Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten
und von Herzen dir nachwandeln!
7 Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund,
und Frühregen hüllt es in Segen.
8 Sie gehen von einer Kraft zur andern
und schauen den wahren Gott in Zion.
9 HERR, Gott Zebaoth, höre mein Gebet;
vernimm es, Gott Jakobs!
10 Gott, unser Schild, schaue doch;
sieh an das Antlitz deines Gesalbten!
11 Denn ein Tag in deinen Vorhöfen
ist besser als sonst tausend.
Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause
als wohnen in den Zelten der Frevler.
12 Denn Gott der HERR ist Sonne und Schild;
der HERR gibt Gnade und Ehre.
Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.
13 HERR Zebaoth, wohl dem Menschen,
der sich auf dich verlässt!
I
Liebe Gemeinde
Geborgenheit erfahren,
einen Ort finden zum Auftanken und Kraft schöpfen -
diese Sehnsucht treibt die Menschen um,
die diesen uralten Psalm singen und beten.
Die Israeliten machen sich an den großen Festtagen
auf den Weg zum Tempel nach Jerusalem.
Sie sind oft tagelang unterwegs,
bis sie endlich ihr Ziel erreichen.
Sie wandern lange Strecken durch dürres, wüstenartiges Land.
Unterwegs singen sie ihre Lieder.
„Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth“
„Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn“
Wenn die Pilger das dürre Tal durchschritten haben,
taucht vor ihnen der Berg Zion auf, darauf thront der Tempel Gottes,
ein Prachtgebäude, mit Gold verziert, das in der Sonne funkelt.
Für die Israeliten steht der Tempel mit seinen Vorhöfen für diesen Ort,
an dem sich ihre Sehnsucht erfüllt.
Im Tempel ist die Wohnung Gottes.
Dort bei Gott selbst kehren sie ein
und finden in seiner Nähe Geborgenheit und Schutz und Trost.
Unser Psalm gehört zu den Wallfahrtsliedern dieser Pilger.
Er lässt sich auch auf unser Leben übertragen.
Unser ganzes Leben besteht im „Unterwegssein“
und ist mit einer Pilgerschaft vergleichbar.
In unserer mobilen Gesellschaft sind viele Menschen ständig in Bewegung,
auf vollen Straßen müssen sie zum Arbeitsplatz und wieder zurück pendeln,
brechen auf in ihren Urlaub, suchen Erholung und kehren wieder zurück;
sind in der Freizeit unterwegs zu Freunden und zur Familie.
Sie sind heute zum Kirchweihfest hier in Ihrer Kirche zusammen gekommen.
Diese Kirche ist ein Ort, der Ihnen vielleicht von Kindheit an vertraut ist
und besonders an den Knotenpunkten des Lebens eine Rolle spielt:
bei der Taufe, bei der Konfirmation, bei der Hochzeit
und auch beim Abschied von einem geliebten Menschen.
Da haben wir den Segen Gottes empfangen
und ein Wort, das uns aufrichtet und stärkt
für den Weg zurück ins gewohnte Leben.
II
In unserem Psalm haben Menschen mit ausdrucksstarken Vergleichen
Sprache gefunden für das, was sie empfanden,
nachdem sie am Ort ihrer Sehnsucht angekommen waren:
„Der Vogel hat ein Haus gefunden
und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen -
deine Altäre, Herr Zebaoth“
Die Vögel unter dem Himmel schwirren zwitschernd umher,
ziehen ihre Kreise am Himmel.
Aber sie bauen auch Nester, brauchen einen Ort, wo sie hingehören
und ihre Jungen aufziehen können.
Vielleicht fällt der Blick der Singenden auf solche Vogelnester,
die es auch inmitten der Tempelanlage gegeben hat.
Und auch schon mancher Küster hat es im Gebälk des Glockenturms zwitschern hören,
und eine Vogelfamilie entdeckt, die dort ihr Nest gebaut hat.
Wie eine Schwalbe ein Nest, so brauchen auch wir Menschen eine Wohnung.
Menschen, die in der Stadt umziehen müssen,
wissen oft nicht mehr, wo sie unterkommen können.
Wo finden sie eine bezahlbare Bleibe?
Obdachlose, die auf der Straße leben, sind vielen Gefahren ausgesetzt -
Kann die Straße Schutz bieten?
Zuflucht suchen die Flüchtlinge,
die auf dem Mittelmeer treiben -
Viele von ihnen ertrinken - ein furchtbares Drama!
Wer ist bereit, sie aufzunehmen?
Wohnung haben, beinhaltet viel mehr als nur ein Dach überm Kopf.
Wohnung steht für Geborgenheit und Heimat,
für Gemeinschaft und gegenseitige Fürsorge,
für ein Eingebundensein in ein soziales Miteinander.
Manchmal sprechen wir von „komischen Vögeln“ und meinen Menschen,
die anders sind als andere, weil sie nicht ins gewohnte Bild passen.
Sie erfahren Misstrauen, weil sie sich anders kleiden,
weil sie eine andere Kultur, andere Religion mitbringen,
einen anderen Lebensstil haben und manchmal auch,
weil sie vom Schicksal gezeichnet sind, das ihr Verhalten geprägt hat.
Sie stehen oft abseits und scheinen nirgendwo richtig dazu zu gehören.
Doch die Sehnsucht nach Zugehörigkeit verbindet uns Menschen in der Tiefe
über alle Unterschiede hinweg, die uns trennen.
Nach außen sind wir wie viele bunte Vögel,
und doch suchen wir alle unser Nest,
das wir brauchen zum Leben und Überleben.
III
Wenn jemand auf seiner Lebensreise aus der Bahn geworfen wird,
wenn jemand an einer Wegkreuzung steht
und nicht weiß, in welche Richtung sein Leben weiter gehen soll,
dann geht mit dieser Reise auch eine innere Suche einher.
Wenn ich im dürren Tal bin, spüre ich Ohnmacht und Angst,
da spüre ich gerade nicht, dass ich von einer Kraft zur anderen gehe.
Wo kann ich auftanken?
Wie finde ich Klarheit und einen festen Halt?
Wo finde ich solch einen Quellgrund, der meinem Leben wieder Kraft gibt?
„Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst Tausend“,
so bringt der Psalmbeter seine Erfahrungen auf den Punkt.
„Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Haus
als wohnen in den Zelten der Frevler“ (V11)
Dort in der Gemeinschaft mit anderen,
bei einem fröhlichen Fest, in der Nähe Gottes,
da ist alles gut, da bin ich zu Hause.
Da würde ich am liebsten bleiben.
Wir kennen solche Momente,
von denen wir uns wünschten, sie würden nie vergehen.
Doch die Pilger wissen auch:
Der Tempel bietet keine Rückzugsmöglichkeit für immer.
Die Wallfahrt ist nur eine Durchgangsstation zum Auftanken,
die sie wieder in ihren Alltag zurückführt.
So wie für Sie nach einem schönen Fest heute,
auch morgen der Alltag wieder beginnt.
Die tausend Tage, die noch folgen werden,
können auch hart und schwer sein,
Es können Tage sein voller Druck und Stress;
Tage, in denen das menschliche Miteinander belastet ist durch Streit;
Tage, in denen wir mit Ungerechtigkeit und Böswilligkeit konfrontiert sind
und manchmal auch mit den Dunkelheiten unseres eigenen Herzens.
Es können Tage sein, in denen ich plötzlich merke,
dass ich selbst auch zu diesen „komischen Vögeln“ gehöre,
die ihr Nest nicht mehr finden,
dass ich nicht mehr weiß, wer mein Gott ist,
der mir Schutz und Stärke gibt.
Und manchmal wäre es vielleicht leichter, eine Schwalbe zu sein,
die instinktiv weiß, wo sie hingehört und selbst im Tempel ihren Unterschlupf findet.
IV
Wir spüren es auf unserer Lebensreise an allen Ecken und Enden:
Noch sind wir nicht endgültig am Ziel.
Unsere Sehnsucht erwacht immer wieder neu.
Betend wenden sich die Menschen an ihren Gott:
"Herr, Gott, Zebaoth, höre mein Gebet"
Sie stärken sich gegenseitig in ihrem Glauben an Gott und singen ihre Lieder:
„Wohl denen, die dich für ihre Stärke halten
und von Herzen dir nachwandeln“ (V6)
Vielleicht ist dieser Vers manchen von Ihnen vertraut.
Oft wird er bei der Konfirmation mit auf den Lebensweg gegeben.
Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt:
„Wohl denen, deren Stärke in dir gründet,
die in ihren Herzen barfuß zu dir unterwegs sind“
Wieder eine ausdrucksvolle Sprache,
mit einem Bild, das unsere Phantasie anregt.
Barfuß gehen - da spüre ich Grashalme, Sand, Stein, Holz,
weichen Teppich, aber auch spitze Steinchen unter meinen Füßen.
Barfuß gehen wir normalerweise nur dort,
wo wir wissen, wir können nicht verletzt werden.
Auf dem Barfußpfad im Herzen unterwegs sein zu Gott -
Da lege ich keinen dicken Mantel über mein Herz.
Da gehe ich ohne dicke Schutzschicht,
unter der ich normalerweise verberge, was mich verletzt hat,
was mir Sorgen macht und mich nicht schlafen lässt.
Da bin ich bin angenommen und angekommen.
Ich erfahre bedingungslose Zuwendung und merke:
Das macht mich nicht schwächer sondern stärker.
Das macht mich nicht mutloser sondern gibt mir Hoffnung.
Die Worte dieses uralten Psalms singen es in uns hinein:
Auf diesem Barfußpfad gehen wir nicht von Dürre zu Dürre
Wir gehen von Kraft zu Kraft.
Da fängt im dürren Tal, die Hoffnung an zu keimen
und die Ohnmacht wandelt sich in neuen Mut.
Die Pilger nehmen sich gegenseitig hinein diese Hoffnung,
sind sich Fingerzeig auf dem Weg zum Nest.
Trotz aller Pracht, die der Tempel aufweist,
wussten es die Sänger unseres Psalms genau:
Das, was den Tempel zum Haus Gottes macht,
sind nicht die dicken Mauern, ist nicht das Gold auf den Dächern
sondern das Licht, das Gott selbst in unser Leben bringt,
und das wir weitergeben an andere.
„Gott, der Herr, ist Sonne und Schild.
Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.“ (V12)
Schilde wurden im Krieg zur Verteidigung benutzt.
Sie sollen schützen vor Verwundung und Verletzung durch die Angreifer.
Gott selbst - wie ein Schild, der sich vor all unsere Verletzlichkeit stellt,
die wir ihm bringen.
Wie das aussehen kann, sehen wir bei Zachhäus -
wir haben die Lesung eben gehört.
Dort wo Jesus bei Zachäus einkehrt
und sich schützend vor ihn stellt, als alle anderen murren,
fällt auch bei Zachäus eine dicke Schicht von seinem Herzen ab.
Durch Jesu Zuwendung fällt ein heller Lichtstrahl in sein Leben.
Er erfährt Gottes Güte und Nähe,
und darf befreit zurückkehren in seinen Alltag
und auch das begangene Unrecht hinter sich lassen.
Das, was die Kirche zum Gotteshaus macht, ist,
dass Gott selbst einzieht mit seinem Licht.
Wo er wohnt, da gestaltet sich auch Kirche,
in der Menschen zusammen kommen und ihren Glauben leben
und füreinander da sind und sei es auch nur in einer Wellblechhütte.
Unsere Kirchen wollen deshalb Wohnungen sein,
in denen Gott selbst willkommen ist,
Wohnungen, in denen die Türen weit aufgehen,
damit all die bunten und komischen und schrägen Vögel,
die es unter dem Himmel gibt, Heimat finden,
die Kleinen, die auf Bäume klettern müssen, um etwas zu sehen
und die Großen, die scheinbar alles überblicken;
Wohnungen, in denen unser Glaube gestärkt wird,
für den weiteren Weg, den wir noch vor uns haben.
„Herr Zebaoth, wohl dem Menschen,
der sich auf dich verlässt.“
Amen