Die reiche Kirchenmaus
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Ansprache zu Psalm 104
Erntedankfest mit einer Demenzgruppe
Während der Ansprache singen wir vom Lied 508:
Wir pflügen und wir streuen.
I
Liebe Gemeinde,
Vor einiger Zeit habe ich die Scherzfrage gelesen:
„An welchem Tag ist die Kirchenmaus nicht arm?“
Genau: Am Erntedanktag.
"Da hat die sonst sprichwörtlich
arme Kirchenmaus freie Auswahl unter all den Köstlichkeiten,
die auf und vor dem Altar aufgetischt sind." (1)
Am Erntedanktag, da werden all die irdischen Dinge,
die uns Menschen Freude und Wohlgefallen bereiten,
hineingenommen in unseren Glauben an Gott.
Da werden auch alle irdischen Gaben zu himmlischen Gaben,
weil wir sie annehmen aus Gottes Hand.
Da schauen wir zusammen mit unserem Dichter des 104. Psalms,
den wir vorhin miteinander gesprochen haben,
in unsere Welt und sehen ihre Schönheit:
„Du, Gott, breitest den Himmel aus wie einen Teppich“
Und eigentlich müssten wir jetzt ins Freie gehen.
Doch wir machen stattdessen einen Spaziergang mit unseren Gedanken.
Und wir stellen uns jetzt vor, dass es draußen nicht nasskalt ist,
sondern dass es noch Sommer ist und schön warm.
Wir stellen uns vor, dass wir hinausgehen auf eine Wiese
Wir legen uns ins Gras, schauen in den Himmel.
Die Sonne scheint und wir beobachten die Wolkengebilde, die vorüberziehen,
Sie beflügeln unsere Träume und unsere Phantasie.
Vielleicht erinnern Sie sich zurück,
dass Sie das manchmal auch so gemacht haben.
Und nachdem wir eine Weile im Gras gelegen haben,
stehen wir wieder auf und spazieren
durch die Felder und Wiesen in unserem Ort.
Wir sehen die Ähren, die reif sind,
den Mais und den Weizen und den Roggen und die Gerste.
Die Halme werden gemäht,
die Körner herausgedroschen und zu Mehl gemahlen.
Wir backen damit Brot und Kuchen und kleine leckere Stückle.
Bei unserem Spaziergang sehen wir die Landwirte,
die mit ihren großen Traktoren die Wiesen mähen
und das Heu einholen für ihr Vieh.
Wir gehen zwischen den Obstbäumen hindurch
und sehen die Äpfel und Birnen und Nüsse und Zwetschgen
und Kirschen und Quitten an den Zweigen hängen.
Und schließlich steigen wir hoch auf einen Berg.
Wir blicken in die Weite, schauen ins Tal
und sehen am Abend vielleicht den Sonnenuntergang.
Und wir hören die Worte unseres Psalms:
„Du (Gott) feuchtest die Berge von oben her.
Du machst das Land voll Früchte, die du schaffst.
Du lässest Gras wachsen für das Vieh
und Saat zunutz den Menschen.“
Und dann fangen wir an ein Erntedanklied zu singen:
Wir pflügen und wir streuen
Lied 508, 1.2
II
Unsere Gedankenreise geht weiter.
Wir fahren jetzt zu dem kleinen Weinberg,
der bei uns angelegt wurde.
Wir sehen die Weinstöcke, die voll Trauben hängen .
Der Saft wird gekeltert und kommt in große Fässer,
wo er zu Wein heranreift.
„Damit er erfreue des Menschen Herz“
sagt der Psalmbeter ganz ungeniert.
Wein steht auch in der Bibel für Lebensfreude
und fehlt bei keinem Fest.
Und wenn wir jetzt in Israel wären,
könnten wir auch durch Olivenhaine schlendern und
uralte, knorrige Bäume sehen,
an denen die Oliven hängen, aus denen das Öl gepresst wird.
In unserem Psalm wird das Öl jedoch nicht als Lebensmittel
sondern als Kosmetikprodukt angepriesen.
Der Mensch benutzt das Öl auch dafür,
„damit das Antlitz schön werde vom Öl“,
so sagt es der Psalmbeter.
Die Haut wird glatt und schön davon.
Nicht nur das Allernotwendigste,
das wir unbedingt brauchen zum Überleben,
ist unserem Psalm aufgezählt
sondern auch die Dinge, die einfach Freude bereiten sollen,
wie z. B. Wein und Öl.
An Erntedank, da ist die Kirchenmaus wahrhaftig nicht arm.
Da ist sie reich.
Verschwenderisch, überschwänglich, bunt und vielfältig
begegnet uns die Natur mit einer unzählbaren Vielfalt von Pflanzen und Tieren,
Sonne und Mond, Milliarden von Sternen und Milliarden von Menschen,
die alle einzigartig sind.
Alles ist Hinweis auf den großen Gott:
„Herr, mein Gott, du bist sehr groß;
in Hoheit und Pracht bist du gekleidet.
Licht ist dein Kleid, das du anhast.“
Und wir singen vom angefangenen Lied
Lied 508,3.4
III
Am Ende unserer Gedankenreise kehren wir von den Weinbergen
hierher in unsere Kirche zurück und hören noch einmal auf die Worte unseres Psalms:
„Herr, wie sind deine Werke so groß und viel.
Du hast sie alle weise geordnet.“
„Es warten alle auf dich,
dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit.“
Auch eine kleine Kirchenmaus hat Anteil
an dieser großen Fülle, die wir hier vorne auf dem Altar sehen.
Die Wissenschaft kann heute viel erklären,
wie weise alles geordnet ist,
z. B. wie Mäuse oder Eichhörnchen Vorräte sammeln.
Wir wissen heute so viel wie nie zuvor darüber,
welche Prozesse in den Pflanzen vor sich gehen, damit sie wachsen.
Wir erkennen, welche Wunder in einem winzigen Samenkorn stecken.
Und wir wissen auch:
Ohne unsere menschliche Arbeit ist der schönste Garten
schnell von Unkraut überwuchert, werden die Pflanzen
von Schädlingen gefressen, sprießen Dornen und Disteln,
statt Tomaten und Erdbeeren.
Wir müssen ackern und wirtschaften, nicht nur in der Landwirtschaft,
jeder und jede in seinem/ihren Beruf,
Aber trotz aller Wissenschaft und Technik merken wir:
Das Gelingen und den Segen unserer Arbeit
haben wir nicht alleine in der Hand.
Es ist so, wie wir es eben gesungen haben:
„Es geht durch unsere Hände, kommt aber her von Gott“
Der Beter unseres Psalms spricht aus, was wir immer wieder spüren:
Unsere menschliche Macht ist begrenzt.
Unser Leben ist endlich.
Der Psalm konfrontiert uns inmitten aller Schönheit
auch mit der Vergänglichkeit allen Lebens:
„Verbirgst du (Gott) dein Angesicht, so erschrecken sie,
nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub.
Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen,
und du machst neu die Gestalt der Erde.“
Wir nehmen unseren Platz ein auf unserer Welt als Menschen,
die nicht alles in den Griff kriegen können
und auch nicht alles in Griff kriegen müssen,
weil wir nicht die Schöpfer des Lebens sind
und auch nicht sein brauchen.
Aber dieser Platz auf unserer Welt darf uns genügen.
Er genügt, weil wir nicht kleine, vergessene Staubkörnchen sind,
sondern einen Platz haben in Gottes Herzen
Unser Psalmbeter sieht, dass unser vergängliches Leben
mit Gottes schöpferischer Kraft verbunden bleibt.
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Unser kleines Leben inmitten der großen Welt ist geborgen in der Hand
des noch viel größeren Gottes, der alles neu macht.
Deshalb sind wir nicht mehr arm, sondern reich.
Deshalb sind wir auch nicht mehr klein sondern groß.
Deshalb endet unser Psalm mit einem Lob Gottes:
„Lobe den Herrn meine Seele, Halleluja“
Amen
Lied 331,1-3: Großer Gott wir loben dich
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Literatur
(1) Anregungen von: Helmut Barié, Erntedank. Fest der Freude über die Schöpfung in: Pastoralblätter 2014, Heft 10, S. 792