Gott hinterher schauen
Predigt zu 2. Mose 33, 17b - 23
17 Der HERR sprach zu Mose: Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. 18 Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! 19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. 20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. 21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. 22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Ausgabe 1984)
I
Liebe Gemeinde,
Diese Geschichte nimmt uns hinein
in ein bewegendes Zwiegespräch zwischen Mose und Gott.
Sie nimmt uns hinein in seine Suche nach Gewissheit,
nach Antwort, nach Klarheit, nach Kraft und Mut
für seinen weiteren Weg.
„Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden,
und ich kenne dich mit Namen.“
Diese Zusage erhält Mose von Gott.
Und wir hören diesen Zuspruch Gottes ja auch:
Auf verschiedenen Stationen unseres Lebens,
immer wenn uns sein Segen zugesprochen wird,
klingt dieser Zuspruch durch:
Du hast Gnade gefunden.
Du bist bist keine Nummer. Du bist Gott wichtig.
Er wendet sich dir zu und weiß, was dich bewegt.
Und doch - Mose sucht noch weiter.
Er schafft es nicht mehr,
einer Realität ausgesetzt zu sein,
die ganz anders ist, als diese Worte ihm sagen.
Er schafft es nicht mehr, die Unsichtbarkeit Gottes zu ertragen auf einer Welt,
die es doch so dringend bräuchte,
dass Gott aus seiner Verborgenheit hervortreten möge,
dass Gott sich zeigen möge in seiner Herrlichkeit.
„Lass mich deine Herrlichkeit sehen“
Seinen Herzenswunsch spricht Mose aus.
Welch eine Bitte!
Welch ein kindliches Vertrauen spricht aus diesem Wunsch!
Und zugleich aber auch:
Welch eine Not lässt sich heraushören.
„Lass mich dich sehen, Gott.“
So spricht hier ein Mensch, der viel Verantwortung tragen muss.
Wir können nur ahnen, welche Last auf den Schultern des Mose liegt.
Die Verse und Kapitel vor unserem Predigttext erzählen davon:
Die Flucht der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten ist gelungen.
Sie sind durch die Wüste gezogen und am Berg Sinai angelangt.
Gott schließt seinen Bund mit ihnen.
Mose steigt auf den Berg und erhält die 10 Gebote von Gott.
Aber das Volk hält diese Abwesenheit nicht aus.
Auch sie suchen einen sichtbaren, greifbaren Gott.
Aber sie legen sich selbst einen Gott nach ihren Vorstellungen zurecht,
sie tragen all ihr Gold zusammen und gießen ein Goldenes Kalb.
Sie schaffen sich ihren Gott selbst, wie einen Gegenstand,
über den sie verfügen können,
es bleibt kein Raum mehr für Beziehung und Vertrauen.
Als Mose zurückkommt,
zerschmettert er voller Zorn die Tafeln mit den Geboten.
Sie haben den Bund mit Gott gebrochen,
das Vertrauen und die Liebe zu ihm sind zerronnen.
Gott zieht sich zurück, zutiefst verletzt und enttäuscht,
er will nicht mehr mit seinem Volk mitziehen.
Mose soll alleine weiterziehen.
Gott will nur noch einen Engel mitschicken.
Aber wie soll er, Mose, das nun schaffen,
was nicht einmal mehr Gott tun will, dieses Volk zu begleiten?
Wie soll das gehen, wenn ihm immer wieder Murren und Zweifel entgegenschlägt,
wenn alle gegen ihn sind?
Diese Last erdrückt ihn schier.
Dabei haben sie doch immer wieder die Hilfe Gottes erfahren
auf ihrem bisherigen Weg,
Wasser als sie am Verdursten waren, Manna, als sie hungerten.
Und trotz allem -
Bleibt Gott nicht immer auch rätselhaft?
Bleibt nicht trotz aller Hilfe und Bewahrung, die wir erfahren,
nicht immer auch ein ein Rest von Unklarheit, die sich nicht auflösen lässt?
Könnten alle bisherigen Erfahrungen nicht auch nur eine Illusion,
ein Zufall gewesen sein?
Fragen, Gefühle, Widersprüche spiegeln sich in diesem Wunsch des Mose,
vielleicht auch Angst und Zweifel,
vielleicht auch unbefriedigte Neugier
und der Wunsch nach Sicherheit und endgültiger Erkenntnis.
Ein verlässliches Zeichen haben, das er diesem Volk zeigen könnte,
damit sie besser vertrauen können,
ohne die dunkle Wolke dazwischen,
ohne die Hand, die mich in die Felsspalte schiebt und das verdeckt,
was ich doch eigentlich sehen will
Spricht uns Mose nicht aus dem Herzen?
Wie soll das weitergehen?
so fragen doch viele Menschen in der Wüste ihres Lebens,
die so vielfältige Gesichter hat wie es Menschen gibt.
Wenn du, Gott,
deine Majestät, deine Größe leuchten lassen könntest,
wäre es dann nicht leichter für uns, diese Wüste zu durchqueren
und unseren Weg weiterzugehen?
Wäre dann nicht auch auf unserer Welt Vieles einfacher?
Würde der Riss nicht kleiner zwischen den Völkern
und den Menschen in unserem Land und auf der Welt?
Würden wir dann Wege finden zum Frieden und zur Gerechtigkeit?
Würden wir dann Gottes Willen nicht besser erfüllen können,
der Hass weniger werden und die Versöhnung gelingen?
Bei Mose da wird dieser Wunsch, Gott zu sehen existentiell und bedrängend.
Sein Glaube zeigt sich hier nicht in jubelnder Gewissheit sondern im Zweifel.
Mit seinem persönlichen Leben buchstabiert er die Frage durch nach Gott,
der ihm doch oft so fremd und abwesend scheint.
Aber Mose schafft sich kein Goldenes Kalb,
sondern er wirft sich mit seiner ganzen Last dem unsichtbaren Gott in die Arme.
Seine Sehnsucht treibt ihn ins Gebet, ins Gespräch mit Gott.
II
Und Gott?
Er nimmt Mose ernst in seinem Sehnen und Suchen.
Er gibt ihm Antwort.
Er zeigt sich ihm.
Aber er zeigt sich ganz anders als von Mose erbeten.
Er zeigt sich, indem er Mose in eine dunkle Felsspalte stellt,
sein Gesicht von ihm abwendet und damit dieser ihn ja nicht sehen kann
noch extra seine Hand über ihn hält, um ihn von sich abzuschirmen.
Denn wenn er vor uns erscheinen würde
in seiner Macht und Herrlichkeit,
dann könnten wir dies nicht ertragen.
Und dennoch -
Gott versteht unseren Wunsch nach seiner Sichtbarkeit tiefer
als wir selbst ihn vielleicht manchmal verstehen können.
Er erfüllt diesen Wunsch so, dass wir damit leben können.
Denn was ich erleben will, ist doch nicht bloß:
Gott ist da. Gott ist mächtig. Gott gibt es,
sondern: Er ist für mich da.
Er lässt uns nicht einfach in der Wüste hängen
und uns alleine mit unserem Ballast zurück.
Um diese Gewissheit kämpft Mose.
Mose will es wieder im Herzen erfassen können,
was das heißt, wenn Gott zu ihm sagt:
„Du hast Gnade gefunden. Ich kenne dich mit Namen“.
Gott zeigt uns deshalb etwas viel Wichtigeres als seine Herrlichkeit.
Er zeigt uns das, was uns hilft, auf unserer Welt zu leben
und trotz aller Rätsel und Dunkelheiten unseren Weg zu gehen.
Er bleibt dabei derjenige, über den wir nicht verfügen können,
der nicht objektiv erkennbar ist wie ein Ersatzgott
Denn wer oder was auch immer das wäre,
das könnte doch nicht mein Gott sein,
der mich berühren, der mich trösten kann.
Gott zeigt sich deshalb in seiner Güte.
„Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen.“
Das ist sein Versprechen.
Dort wo Güte ist und Barmherzigkeit - dort ist er zu finden,
und dort ist auch eine Spur seiner Herrlichkeit gelegt.
Dass wir Güte und Barmherzigkeit erfahren,
das ist lebensnotwendig für uns auf unserer Welt
Dass da jemand ist, der uns auffängt, wenn wir fallen.
Dass da jemand ist, der barmherzig mit uns umgeht,
wenn wir schuldig werden.
Dass da jemand ist, der mit uns geht durch unser Leben,
damit wir nicht alleine unterwegs sind.
Gottes Hand, die er über Mose hält, ist seine Hand,
die ihn beschirmt, auch in der einsamen und verlassenen Wüste,
wo er nichts mehr von ihm spürt.
Im Moment seiner größten Nähe, da spürt Mose Gott am wenigsten.
Welch eine Aussage ist das!
Da, wo ihn das größte Dunkel umgibt, da werden ihm die Augen zugehalten
von dem Gott, der ihm näher ist als je zuvor,
bis Mose schließlich wieder aus der dunklen Felsspalte heraustreten kann ins Freie.
III
Das ist zugleich die größte Hoffnung unserer Geschichte
Wir bleiben nicht in der Dunkelheit und in der Enge.
Wir treten wieder heraus ins Freie.
Gott nimmt seine Hand weg von den Augen des Mose.
Der Schleier seines Herzens lichtet sich,
und er sieht wieder mehr. Er sieht sein Leben neu.
„Du darfst hinter mir hersehen“, sagt Gott
Die Spuren des gnädigen und barmherzigen Gottes in unserem Leben entdecken.
Im Nachhinein, im Rückblick erkennen:
Er ist die ganze Zeit da gewesen.
Seine Güte hat mich nie losgelassen.
Als ich in dieser dunklen, engen Felsspalte war,
war seine bewahrende Hand mir näher als je zuvor.
Rückblick auf schöne, gelungene, erfüllte Zeiten im Leben haben
und Rückblick auf schwere Zeiten und in beidem,
in der Freude und im Glück,
in Zeiten der Wüste und des Mangels
Gott hinterher schauen und seine Güte entdecken,
auf diese Weise wird Mose gestärkt für seinen Weg, der vor ihm liegt.
Diese Erfahrung hat ihm geholfen,
wieder vor sein Volk zu treten,
wieder seine Aufgabe wahr zu nehmen,
die ihm oft zu schwer und zu groß erschien.
Gott hebt den Abstand zwischen Himmel und Erde nicht auf.
Er wahrt sein Geheimnis - und trotzdem:
Mose kann auf einem Felsen stehen, auf festem Grund.
„Es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Felsen stehen,“ sagt Gott
Er lässt mir Freiheit und Raum neben sich.
Er traut mir zu, eigene Entscheidungen zu treffen,
Verantwortung zu übernehmen für mein Leben,
für andere da zu sein, für sie einzutreten.
Er traut mir zu, selber zu denken und zu fühlen und zu erspüren,
was gerade dran ist.
Er stellt mich in die Welt.
Das Reden Gottes bleibt für uns deshalb immer wieder ins Irdische eingehüllt.
Er will immer neu gehört, gesucht werden in seinem Wort,
Es will immer neu im Gespräch mit Gott und den Menschen erkannt werden,
was uns hilft, einen guten Weg miteinander zu finden.
Das will uns bewahren vor Überheblichkeit und Unversöhnlichkeit,
mahnt uns zur Bescheidenheit.
Wie gefährlich kann das sonst werden und ist das schon geworden,
wenn Menschen meinen, sie könnten über Gott verfügen,
den Unterschied zwischen Himmel und Erde aufheben und durch Ideologien ersetzen.
In solchen Systemen bleibt den Menschen kein Raum mehr,keine Freiheit mehr,
da entstehen die Goldenen Kälber, die Ersatzgötter, die uns knechten.
Gott aber gibt mir keine Sicherheit.
Die Möglichkeit des Irrens,
die Möglichkeit des Scheiterns und des schuldig Werdens bleibt.
Aber der Fels, auf den mich Gott neben sich stellt, bleibt ebenfalls:
Seine Güte, die immer und immer wieder mein Vertrauen sucht,
dass seine Hand mich bewahrt.
Seine Herrlichkeit auf dieser Welt begegnet uns in dem,
was er von sich gezeigt hat:
in seiner Güte, die wir einander weitergeben.
„Er offenbarte seine Herrlichkeit“, hörten wir vorhin von Jesus,
als das Wunder geschah auf der Hochzeit zu Kana.
Das Fest kann stattfinden trotz allem Mangel, trotz aller Peinlichkeit.
Der Wein reicht für alle.
Gott führt heraus aus allem Mangel.
Er zeigt seine Güte und Freundlichkeit, der wir hinterher schauen.
Und doch -
Die letzte Hülle ist auch für uns
als Christinnen und Christen noch nicht weggezogen.
Gottes Herrlichkeit bleibt für uns verpackt in der Menschlichkeit Jesu.
Jesu Güte und Hinwendung zu den Menschen
aber sind solche Spuren Gottes,
die wir entdecken und auf denen wir weiter gehen können.
So wie wir auch im nächsten Lied davon singen:
Wir haben Gottes Spuren festgestellt auf unsern Menschenstraßen.
Amen