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Alles geben ?
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Predigt zu Markus 12,41-44
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41Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. 42Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. 43Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. 44Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.
(übersetzung nach Martin Luther, revidierte Ausgabe 2017)
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I
Liebe Gemeinde,
besucht die Pfarrerin einen wohlhabenden Herrn.
Sie unterhalten sich eine Weile.
Bevor die Pfarrerin geht, fasst sie sich noch ein Herz.
Die Flüchtlingsarbeit des Asylkreises brennt ihr unter den Nägeln.
Es wird dringend Geld gebraucht, um nötige Anschaffungen zu tätigen.
Die Pfarrerin erzählt von diesem Projekt und bittet schließlich den Herrn um eine Spende.
Der Mann verharrt einen Moment, ringt mit sich, geht kurz aus dem Zimmer,
kommt zurück, hat seinen Geldbeutel in der Hand und sagt:
„Weil Sie mich darum gebeten haben, mache ich auch eine Spende.
Aber ich muss es Ihnen gleich sagen, Frau Pfarrerin,
mehr als das Scherflein der Witwe kann ich nicht geben“.
Woraufhin die Pfarrerin antwortet:
„Oh, das ist wirklich nicht nötig. So viel erwarte ich nicht.
Die arme Witwe hat nämlich alles gegeben, was sie hatte.“
Solche Geschichten sind ja immer ganz humorvoll.
Wir schmunzeln über die schlagfertige Antwort der Pfarrerin,
die genau den Kern der Geschichte trifft:
„Alles geben, was ich habe“
Und genau diese Antwort ist dann auch irgendwie beunruhigend.
Wie ist das gemeint?
Unser Haus, unsere Wohnung, unser Auto verschenken,
weggeben unser Angespartes, unsere Notgroschen, das Konto auflösen?
Opfer bringen, so dass es richtig schwer fällt und weh tut?
Geld abgeben fällt oft schwer auch ohne, dass ich alles gebe, was ich habe.
Wie mühsam ist es oft verdient, durch eigene Leistung erworben.
Wenn ich nicht gerade im Lotto gewinne oder erbe, wird mir nichts einfach so geschenkt.
Am Ausgang der Kirche oder bei besonderen Spendensammlungen
geben auch wir nie alles, was wir haben.
Wir geben mal mehr, mal weniger je nachdem wie uns die Projekte gerade ansprechen.
Wir geben von unserem Überfluss
wie jene Wohlhabenden in der biblischen Geschichte.
Und vor allem schauen wir eher diskret weg, wenn andere was einlegen.
Neben dem Opferkasten stehen und gucken:
Was gibt mein Nachbar? das gehört sich nicht.
Geschlossene Opferbüchsen sind angenehmer als offene Körbchen.
Und es ist auch angenehmer, wenn die Münzen im Kasten nicht so scheppern.
Das Rascheln eines Scheins wirkt besser.
Denn irgendwie will ich ja doch als guter Mensch dastehen.
Aber auffallen beim Spenden will ich nun auch lieber nicht:
Wenn einer wenig gibt, gilt er als geizig.
Wenn eine viel gibt, gilt sie als protzig, weil sie zeigt, was sie hat.
Anders ist das bei großen öffentlichen Spendengalas,
da wird im Fernsehen unten offen eingeblendet, wie viel gegeben wird,
und man hat das Gefühl auch kleine Beträge sind willkommen.
Da zählt am Ende das Ergebnis und man spürt:
Wenn viele solidarisch sind und etwas geben,
dann kommt auch ein großer Betrag zusammen.
II
Jesus jedenfalls schaut nicht diskret weg, er schaut zu, was die Menschen einlegen..
Die Wohlhabenden und Reichen geben viel.
Und das ist bis heute so:
Sportler und Künstler und Unternehmer engagieren sich als Stifter und Spender
in sozialen Projekten für bedürftige Menschen.
Je mehr gegeben wird, desto mehr kann auch geholfen werden.
Wer viel bekommen hat, kann auch viel geben.
Dringender denn je brauchen wir auch Geld auf unserer Welt.
Viele Projekte würden ohne Spenden nicht existieren.
Die Folgen der Inflation spüren wir bereits in unserem Geldbeutel.
Nach jahrelangem Fortschritt stehen wir vor einer Katastrophe:
Hungerkrisen drohen in Gegenden, in denen schon jahrelang der Regen ausbleibt.
Die Covid 19-Pandemie, der Ukrainekrieg, die Inflationsrate steigern die Krisen.
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Aber auch all die Unternehmen, die um ihre Existenz bangen,
sollte der Gashahn zugedreht werden, brauchen Unterstützung.
Kritisiert Jesus also alle, die es nicht genauso tun wie diese Frau, die alles gibt, was sie hat?
Werden die geldgierigen Reichen verurteilt und die edlen Armen in den Himmel gelobt?
Doch wer ist reich? Wer ist arm?
Ich finde immer jemanden, der mehr Geld hat, als ich selbst
und ich finde immer jemanden, der weniger hat.
Wenn ich Geld übrig habe, frage ich mich:
Wie kann ich es verwalten, anlegen, vermehren.
Es besteht die Gefahr, dass sich alles nur noch ums Geld dreht,das ich besitze.
Wenn ich um jeden Cent ringen muss
und nicht weiß, wie ich nächsten Monat meine Miete und Nebenkosten zahl soll,
mir jeden Bissen vom Mund absparen muss,
wäre ich glücklich, ich hätte nur die Probleme derer, die mehr davon haben als ich.
Stattdessen dreht sich dann alles um das fehlende Geld, das ich nicht habe.
Sollen gerade diese Menschen das Wenige, das sie haben auch noch abgeben?
Ist es nicht eigentlich ein Skandal, dass Jesus diese Frau auch noch lobt?
III
Wir müssen die Geschichte im Zusammenhang verstehen.
Unmittelbar vor unserem Predigttext kritisiert Jesus die Schriftgelehrten,
die in langen Gewändern umhergehen, sich auf dem Markt grüßen lassen
und die Häuser der Witwen fressen - so drastisch übersetzt Martin Luther.
Witwen standen auf der untersten Stufe der Hierarchie,
durften keinen Beruf auszuüben, hatten oft keine andere Möglichkeiten,
als um ihren Lebensunterhalt zu betteln, mussten oft auch mit Betteln ihre Kindern durchbringen.
Ganz auf der Linie der Propheten kritisiert Jesus diese Praxis,
dass sich Reiche auf Kosten dieser armen Witwen bereichern
und sich dann als Wohltäter der Menschheit darstellen und feiern lassen,
wenn sie ihre Gaben bringen im Tempel.
Er kritisiert die Strukturen auf unserer Welt,
in der die Kluft zwischen arm und reich immer größer wird.
Er kritisiert die Ungerechtigkeit, dass Kinder hungern und frieren,
dass skrupellose Machthaber ihr Volk ausbluten lassen
und skrupellose Geschäftemacher Gewinne schlagen
und die Not der Armen noch vergrößern.
Er kritisiert, dass Frömmigkeit und Lebenspraxis oft so weit auseinander klaffen
in einer Tempelpraxis, die riesige Summen umsetzt
und dennoch die Armen betteln müssen.
Er kritisiert, dass durch diese Praxis das Evangelium verdunkelt, die Liebe Gottes verletzt
und der Glaube verschüttet werden.
Das alles steht quer zum Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit.
Das alles steht quer zu Gottes Willen und seiner Liebe,
die in dieser Welt Gestalt gewinnen will.
Das alles sind faule Früchte, nicht Gerechtigkeit und Güte und Wahrheit. (1)
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"Hier wird kein Stein auf dem andern bleiben" sagt Jesus zwei Verse nach unserem
Predigttext im Blick auf den Tempel.
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Und er fragt uns, die wir alle in diese Strukturen hinein verwickelt sind
und nichts dazu können, dass wir noch immer in einem der reichsten Teile der Welt leben:
Wer ist denn nun dein Gott?
Was gibt dir im letzten Halt und Hoffnung und Zukunft?
Welche andere Währung gibt es noch, die dein Leben bestimmt?
„Woran du nun dein Herz hängst und dich verlässest, das ist eigentlich dein Gott.“
sagt Martin Luther.
Das ist entscheidend für Heil oder Unheil, Knechtschaft oder Freiheit.
Lasst euch deshalb nicht blenden von frommem Glanz und Ideologien.
Der Gott Israels ist einzig und allein erkennbar am höchsten Gebot,
das er uns gegeben hat: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen,
ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft. Das andere ist dies:
Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst." (2)
wie es nur wenige Verse vor unserem Text betont wird.
IV
Und auf diesem Hintergrund stelle ich mir nun vor,
wie auf dem Tempelplatz die Leute zusammen strömen.
Verschiedene Opferkästen sind aufgestellt.
Davor stehen die Priester.
Die Menschen geben dem Priester eine stattliche Summe.
Der steckt das Geld - nach Sitte der Zeit -
in einen der Kästen, je nachdem für welchen Zweck die Spende bestimmt ist.
Die Opfergaben werden ausgerufen, die Großzügigkeit wird hörbar.
Und es ist ja auch großartig, dass sich keiner lumpen lassen will,
dass sich die Tempelverwaltung keine finanziellen Sorgen machen muss.
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Und dann wird plötzlich die Atmosphäre gestört.
Die Gestalt einer armen Witwe unterbricht das Hochgefühl.
Eine verhärmte Frau mit abgewetzten, geflickten Kleidern wird sichtbar,
ein Geruch von Armut strömt sie aus.
Sie stört den Traum vom vollkommenen Glück.
Der ewigreiche Gott und diese verarmte Frau - wie passt das zusammen?
Ihre zwei schäbigen Münzen trüben die Reinheit des Goldes
und den marmornen Prachtbau des Tempels.
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Was geht in ihr in in diesem Moment vor?
Was treibt sie an?
Vielleicht die Sehnsucht:
Ich möchte auch meinen Beitrag leisten und nicht abseits stehen.
Dieser Tempel ist auch mein Tempel.
Dieser Gott ist auch mein Gott.
Und vor ihm brauche ich mich nicht verschämt verstecken.
Ich bringe ihm diese zwei Scherflein, mehr habe ich nicht.
Meine ganze Armut breite ich vor ihm aus, alles, was ich habe.
Der größte Schatz, aber bleibt mir erhalten:
Mein Glaube, dass Gott die Trauernden tröstet und die Witwen beschützt
Dass seine Liebe das Dunkel durchbricht
dass die Nacht vergeht und ein neuer Tag beginnt,
dass Güte und Gerechtigkeit sich küssen werden.
Diese Hoffnung trage ich in meinem Herzen.
Und sie setzt einen Fuß vor den anderen, bis sie beim Gotteskasten angelangt ist.
Dort gibt sie alle irdischen Sicherungen auf und legt alles ein, was sie hat.
Man möchte ihr vielleicht am liebsten zurufen:
Tu es nicht. Gib nicht auch noch das letzte, was du hast.
Diese zwei Scherflein spielen keine Rolle inmitten der riesigen Summen.
V
Doch dann geschieht eben das, womit keiner gerechnet hat.
Jesus sieht sie. Und er würdigt ihre Gaben.
Er adelt ihren Glauben und stärkt ihr Selbstbewusstsein.
Gerade sie gehört auch dazu.
„Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt,
als alle, die etwas eingelegt haben.“
Ihre Scherflein sind mehr als das Gold der Reichen.
Sie legt noch eine andere Währung hinein als Geld und Gold.
Ihren ganzen Glauben und ihr Vertrauen.
Sie macht den Tempel wieder zu dem Ort, der er sein soll,
ein Ort des Vertrauens auf den Gott,
der Gerechtigkeit sucht und Güte und Wahrheit.
Diese Frau soll uns deshalb nicht durch ihre Opfergabe beschämen
und eine Moralpredigt sein. Im Gegenteil.
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Sie lehrt uns mit ihren Scherflein,
was auch in uns an Mut und Vertrauen und Liebe,
an Großzügigkeit und Couragiertheit stecken kann.
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Inmitten unseres oft so gefangenen Alltags mit all seinen Herausforderungen,
auch finanziellen Herausforderungen, die wir bewältigen müssen,
gerade jetzt in Zeiten der Inflation, in der Furcht vor Rezession,
vor Gas- und Energiekrise und vor Krieg
löst diese Frau unseren Blick vom Vergleichen und Rechnen und Zählen
und fruchtlosem Sorgen und macht uns Mut zur Freiheit und zum Vertrauen.
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Genauso verschwenderisch wie die Witwe mit den Scherflein
geht Jesus mit sich selbst um:
Er gibt sich hin an seine Mission, an die Botschaft der Liebe und Gerechtigkeit,
an die Menschen, die seine Zuwendung brauchen.
Jesus gibt alles, was er hat, er gibt sein Leben.
Und gewinnt doch alles.
Der Gott, dem er vertraut, der lässt ihn nicht im Stich.
Der senkt sich tief in seine Welt hinein.
Der verbündet sich mit ihm.
Der verbündet sich mit uns.
Der bestätigt den Weg der Gerechtigkeit und Güte und Wahrheit.
Der schenkt neues Leben.
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Amen
„Aus Gottes guten Händen kommt Zeit und Ewigkeit,
da breitet sich der Himmel aus, was eng ist, wird nun weit,
da breitet sich der Himmel aus, was eng ist, wird nun weit.“ (3)
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Anmerkungen
(1) Bezugnahme auf den Wochenspruch: Eph 5, 8b.
(2) Markus 12,30.31
(3) EG 646 als Lied nach der Predigt
Literatur:
Formulierungen und Impulse zu dieser Predigt verdanke ich:
Richard Mössinger, in Calwer Predigthilfen, Reihe III/1, Calwer Verlag Stuttgart 1992, S. 172-178