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Aufbrechen, Losgehen, zum Segen werden

 

Predigt zu 1. Mose 12,1-4a

 

(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Fassung 2017) 

 

1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. 2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. 3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.

 

Liebe Gemeinde

 

Aufbrechen soll er. Alle Brücken abbrechen.

Alle Sicherheiten hinter sich lassen,   

sein gewohntes Umfeld aufgeben.

Neues wagen -  

und Segen erfahren auf diesem Weg.

 

Mit 66 Jahren fängt das Leben,

hat Udo Jürgens gesungen.

 

Abraham war 75 Jahre alt, als er aufbricht.

Kann das gut gehen?

Spürt er die Weggabelung an der er steht

und merkt: Mein Leben muss eine neue Wende kriegen?

Oder ist das ein unnüchterner Blindflug eines Menschen,

der seine Möglichkeiten überschätzt?

 

Denn wir wissen ja:

So einfach ist das oft nicht zu erkennen.
Manche Dinge, 

die angeblich im Namen und im Auftrag Gottes geschehen,

kommen nicht von Gott

sondern von den dunklen Abgründen des menschlichen Herzens

und werden deshalb nicht zum Segen für andere.

 

Als Nomade war er es Abraham gewohnt, 

aufzubrechen und neue Weideplätze zu suchen.

 

Aber hier wird nicht vom Aufbruch eines ganzen Stammes erzählt,

Hier wird vom Aufbruch eines Einzelnen erzählt,

der Gottes Stimme hört und ihr vertraut.

 

„Der Herr sprach“

Dies wird als Grund genannt für den Aufbruch Abrahams

 

Aber noch heißt er nicht so.

Noch heißt er Abram

 

Zu Abraham, auf deutsch: 

Vater von Vielen, 

also ein Mensch, der viele andere in seinen Glauben hineinnimmt

muss er erst noch werden.

 

Vielleicht würden wir diesen Abram gerne fragen

Wie konntest du das so genau wissen, was Gott von dir will?

Und bist du dann

 einfach ins Blaue hinein davon gestolpert?

Hast einfach deinen alten Vater und deine Familie

vor den Kopf gestoßen und bist gegangen?

Und was  hat Sara, deine Frau, zu dieser ganzen  Aktion gesagt?

 

Und wie war das mit dem Segen?

Hattest du nie Zweifel daran, ob dieser Weg der Richtige ist

und ob du auch tatsächlich Gottes Stimme gehört hast?

 

Davon wird nichts berichtet.

 

Keine Rückfrage, kein Einwand. Keine Diskussion

Nur die schlichte Feststellung: „Da zog Abram aus“ 

 

II

 

Auch heute in unserer mobilen Gesellschaft 

ist es nichts Ungewöhnliches,

dass Menschen ausziehen,

 

Menschen folgen dem Drang:

Heraus aus dem Gewohnten,

sie suchen Abenteuer und Erholung, 

um dann  wieder mit neuen Erfahrungen 

ins gewohnte Leben zurückzukehren

So wie jetzt auch in der Urlaubszeit.

 

Erwachsene Kinder ziehen aus

um ihr eigenes Leben aufzubauen

Sie folgen der Aufforderung:

Mach dich auf den Weg

Stelle dich den Herausforderungen des Lebens

 

Menschen ziehen in die Ferne

weil der Arbeitgeber seinen Standort verlagert hat.

Sie werden von außen in eine Entscheidung gedrängt

Was sollen wir tun?

Umziehen oder Bleiben und Pendeln

 

Menschen brechen auf,

weil sie auf der Flucht sind vor Krieg

und weil ihre Heimat ihnen keine Lebensgrundlage mehr bietet.

Sie spüren am eigenen Leib, was das heißt:

Alles auf eine Karte setzen und losziehen

Es gibt kein Zurück mehr

Es gibt nur noch Vorwärts.

Es gibt nur noch Zukunft.

Gibt es die für sie bei uns?

 

Auszug muss aber nicht immer mit Ortswechsel verbunden sein

Menschen müssen ihr gewohntes Leben auch dann verlassen

wenn ihre Lebenspläne scheitern

wenn Beziehungen zerbrechen

wenn sie Abschied nehmen müssen von einem geliebten Menschen

Dann ist plötzlich nichts mehr wie vorher

und ein neuer Weg muss gesucht werden.

 

Ist die Aufforderung zum Aufbruch nicht geradezu Kennzeichen des Lebens,

weil sonst das Leben zum Stillstand kommt?

 

III

 

Doch wohin soll Abraham aufbrechen?

 

„In ein Land, das ich dir zeigen werde“, sagt Gott

Unbestimmter könnte das Ziel fast nicht sein.

Abraham weiß also gerade nicht, wohin sein Weg ihn führt.

 

Auf einer Glückwunschkarte zur Konfirmation

habe ich den Satz gelesen: 

Gehe nicht wohin dein Weg führen mag, 

sondern dorthin, wo kein Weg ist - und hinterlasse eine Spur.

 

Manchmal keine Wege sehen - und trotzdem weitergehen

Nicht auf der ausgetretenen Spur zurückgehen in die Sicherheit

sondern vorwärts auch ins Ungewisse und sich einen Weg bahnen.

 

„Geh, fahre hinaus auf den See“, also: verlass das sichere Ufer,

sagt auch Jesus zu Petrus. 

Und er macht überraschende Erfahrungen.

Wir haben die Geschichte vorhin gehört.

 

Gottes Wort hören und aufbrechen

 

Bedeutet das nicht auch, sich manchmal die Frage zu stellen:

Wo bin ich blockiert 

und muss lernen festgefahrene Muster und Denkschablone 

zu überwinden?

 

Was hindert mich daran,

die eigene Verantwortung für mein Leben zu übernehmen?

 

Wie kann ich lernen offen zu werden für das Leben 

und für überraschende Begegnungen?

 

Gottes Wort hören, bedeutet das nicht auch manchmal:

Weitergehen, auch ohne den Weg zu kennen, solange bis ich es wieder sehe:

Es ist Land in Sicht.

Was vorher oft so verworren ausgesehen hat, ordnet sich wieder.

Eine unmögliche Situation klärt sich wieder.

Mein Leben bekommt wieder Hoffnung und Sinn.

 

Aber nur Neues macht Angst,

nur Aufbruch ins Ungewisse kann lähmen.

Die Offenheit der Zukunft und die Angst vor dem Fremden

kann auch bedrohlich sein

 

Gottes Wort hören:

bedeutet doch deshalb zuerst und vor allem anderen:

das Versprechen Gottes zu hören:

Trotz aller Unsicherheit, die dir bevorsteht:

Ich will dich segnen auf deinem Weg.

Du sollst Zukunft haben und ankommen in diesem Land,

das ich dir zeigen werde.

Du sollst einen großen Namen tragen,

und nicht ausgelöscht werden und als Vergessener

in der Geschichte versinken.

 

Mittlerweile begreife ich: 

 

Abraham hatte nicht mehr und nicht weniger als wir heute auch:

Diese Zusage Gottes, die ihn begleitet auf seinem Weg.

 

Abraham hatte genauso wenig wie wir eine Sicherheit im Vorfeld.

Er hat sich nicht in blindem Gehorsam davon gemacht

Es wird ihm nicht jeder weitere Schritt vorgezeichnet,

den er gehen soll, 

und wird nicht aus der Verantwortung für sein Leben entlassen,

sondern hat viel Spielraum für eigene Entscheidungen

Er steht an einer Weggabelung und entscheidet sich für den Aufbruch

im Vertrauen, dass Gott seinen Weg segnet.

 

Dabei ahnt er kaum all die Gefahren und Stolpersteine, 

die ihm unterwegs begegnen und die Kämpfe,  die er noch ausfechten muss.

Er ist durch Zweifel und unbeschreibliche Anfechtungen gegangen.

Seine weitere Geschichte erzählt auch von seinen

Fehltritten und Fehlentscheidungen, die ihm unterlaufen.

Manches Mal hat er sich vielleicht gefragt:

Wie soll ich glauben, wenn ich so gar nichts sehe von diesem Segen?

Wie soll ich jemals dieses Land finden?

 

Aus Abram wird deshalb ein Abraham, 

ein Vorbild im Glauben

weil ihm Gottes Zusage wie ein Anker wird in seinem Herzen:

 

Gott bleibt bei mir mit seinem Segen

auch trotz aller Fehltritte und Widrigkeiten,

die sich mir in den Weg stellen.

 

Abraham geht seine Schritte und erfährt:

Dieses Wort trägt ihn, gibt ihm Halt.

 

Sein erster Glaubensschritt ist deshalb der Anfang einer ganzen Kette 

von Aufbrüchen und Entschlüssen.

Es ist fortwährender Aufbruch, der nicht mehr zum Stillstand kommt.

beflügelt von der Sehnsucht und der Hoffnung nach diesem Land,

das Gott verheißen hat, in dem Menschen einander zum Segen werden.

 

Abraham bekommt einen großen Namen,

den wir heute noch kennen und der 

Bedeutung gewonnen hat für alle drei Religionen:

Judentum, Christentum und Islam.

 

IV

 

In der Zeit der Verbannung, 

als die Existenz des ganzen Volkes Israel auf dem Spiel stand,

als dieser Segen durch eigenes Verschulden

verloren schien,

wurde diese Geschichte des Abraham aufgeschrieben.

Da wurde diese alte Verheißung,

die Abraham gegeben wurde, wieder lebendig.

 

An dieses Wort klammern sie sich fest:

Nichts ist verloren.

Brecht auf aus der Hoffnungslosigkeit

Ihr habt Zukunft.

 

In einer Zeit, in der es aussah,

als sei sein Name ausgelöscht

und von der Landkarte getilgt,

da hören sie es wieder:

Ich will dich zum großen Volk machen.

Ich will dir einen großen Namen machen.

 

In einer Zeit, in der sein Schicksal wie ein Fluch auf ihm ruhte,

da hilft ihnen dieses Wort beim Überleben:

 

„Ich will segnen, die dich segnen.

Ich will verfluchen, die dich verfluchen.“

 

Ein hartes Wort!

Wird dadurch das Bild eines alttestamentlichen

Gottes bestätigt, der auf Rache und Vergeltung sinnt?

Gibt es das nicht schon genug auf der Welt?

 

Das Wort, das hier mit „fluchen“ übersetzt ist,

kann auch mit „gering schätzen“ übersetzt werden. (1)

Gott weist alle Menschen,

die dich gering achten und zerstören wollen, in ihre Grenzen.

 

Aber wie nun auch immer dieses Wort damals gehört wurde:

Menschen, denen schlimmstes Unrecht widerfährt,

hören darin eben die Hoffnung aufklingen:

 

Gottes Ziel für dich ist Segen, nicht Fluch.

Gott entzieht jedem die Grundlage,

der sich seinem Segen in den Weg stellt.

 

Ist dies nicht geradezu ein Prinzip menschlichen Zusammenlebens:

Wer andere Menschen vernichten will,

zerstört sich letztlich selbst.

 

Gottes erstes und Gottes letztes Wort für sein Volk ist Segen.

In diesen Segen hinein genommen wird die ganze Menschheit.

 

V

 

„In dir sollen gesegnet werden, alle Geschlechter auf Erden“

 

Welch ein Versprechen!

 

Gottes Ruf hört nicht bei Abraham auf.

Er geht an alle Menschen und Völker.

 

Wenn es so scheint, 

als würde über den Völkern eher ein Fluch schweben,

durch den sie sich selbst vernichten;

wenn es so scheint,

als seien wir Menschen an unsere Vergangenheit gekettet

an ein Schicksal, das uns nicht mehr loslässt,

an dramatische Familiengeschichten,

die sich von Generation zu Generation fortsetzen;

an den Zorn von gestern, der den Frieden heute verhindert,

 

dann wird dieses scheinbar so festgezurrte Drama der Menschheit,

das schon in den ersten Kapiteln der Bibel erzählt wird,

hier mit dieser Geschichte durchbrochen, 

unerwartet, überraschend und neu

 

Dann hören wir in dieses Drama hinein

dieses Wort, das uns herausruft. 

 

„Der Herr sprach“

 

Er sprach damals zu Abraham,

so dass wir es auch heute noch hören:

Ihr Menschen habt noch eine andere Herkunft 

als Geschichtsbücher belegen können:

Ihr seid gerufene Menschen.

 

Eure Zukunft ist nicht schicksalhaft 

aus eurer Vergangenheit ablesbar.

Sie ist nicht durch eure desolate Gegenwart bestimmt.

Denn ihr seid erwählte, von Gott geliebte Menschen.

 

Du Mensch, ich habe etwas Neues mit dir vor.

Du sollst zum Segen werden.

Du sollst das Land finden,

das auch den Menschen nach dir offen steht.

 

Als Christinnen und Christen sind wir durch Jesus Christus 

in diese Zukunft seines Volkes mit hineingenommen.

 

Damit beginnt ebenfalls eine Geschichte, 

die nicht Unheil und Unfrieden

sondern Heil und Segen verbreiten soll.

 

Meist ist dazu kein Umzug notwendig

sondern das Wagnis, aufeinander zuzugehen, 

miteinander reden, verzeihen, sich versöhnen,

die Leidenden sehen, die Liebe Gottes weitertragen;

unsere Schritte gehen im Vertrauen auf den Gott, 

der mitgeht auf unserem Weg 

 

Und wenn wir uns dafür

zu klein und schwach und ohnmächtig vorkommen,

hören wir wie Petrus den Zuspruch Jesu:

„Fürchte dich nicht!“

 

Nachher am Ende des Gottesdienstes

wird uns der Segen Gottes wieder zugesprochen

 

Und wir ziehen auch los.

 

„In ein Land, das uns Gott verheißen hat“.

 

Amen

 

 

_____

 

Literatur:

Anregungen für diese Predigt fand ich bei: Heinz Janssen, Aufbruch: 1. Mose/Genesis 12,1-4 in: Gottes Wort und Menschenwort, Fromm Verlag Saarbrücken, 2012, Seite 19-22

 

(1) Ebd. Seite 19

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