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„Du aber bist reich“

 

Predigt zu Offenbarung 2,8-11  (Volkstrauertag)

 

 

Liebe Gemeinde,

 

unser Predigttext heute steht in der Offenbarung des Johannes.

 

Woran denken wir, wenn von diesem letzten Buch der Bibel die Rede ist?

 

Kommen uns die unheimlichen, apokalyptischen Bilder in den Sinn,

mit Reitern, Drachen, gehörnten Tieren und dem Teufel,

die über die Welt hinwegfegen und Zerstörung anrichten?

 

Erinnern wir uns an die Geschichte vom Endgericht 

bei dem das Buch des Lebens aufgeschlagen wird,

in dem die Namen derer stehen, die gerettet werden vor dem zweiten Tod, 

aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.

 

Vielleicht denken wir aber auch an die tröstlichen Bilder am Ende

vom neuen Himmel und der neuen Erde,

in denen Leid und Geschrei und Schmerz und Tod 

endgültig überwunden sein werden.

 

Schon oft wurde in der Geschichte vergeblich versucht,

aus den Berichten und Bildern der Offenbarung zu berechnen,

wann dies alles geschehen wird.

 

Schon oft wurde dieses letzte Buch der Bibel auch missbraucht,

um Katastrophenängste zu schüren und  Menschen in Glaubensnöte zu stürzen.

 

„Was ist, wenn die Endzeit kommt und ich nicht durchhalte?“

Solche Fragen werden sorgenvoll gerade von denjenigen Menschen gestellt, 

die mit ganzem Ernst Christen sein wollen.

 

Könnte ich wirklich solch große Not und Verfolgung aushalten?

Oder werde ich meinen Glauben verleugnen und bin dann rettungslos verloren?

 

Denn wenn ich ehrlich bin, merke ich ja:

Nicht erst Leiden durch Verfolgung

sondern bereits die Schwierigkeiten und Sorgen des Lebens, 

können mein Vertrauen auf Gott ins Wanken bringen.

 

Was hilft mir, durchzuhalten, wenn ich unter Druck stehe?

Was hilft mir zu leben, wenn ich mich ohnmächtig

einer schwierigen Situation ausgeliefert fühle,  die ich nicht ändern kann?

 

Solche Themen und Fragen können uns umtreiben,

wenn ich jetzt den Predigttext für den heutigen Sonntag lese. 

 

Johannes erhält den Auftrag, an den Engel der Gemeinde in Smyrna 

einen Brief zu schreiben.

„Engel“ ist in diesem Zusammenhang der geläufige Begriff für einen Boten,

der nach Smyrna geschickt wird.

Ich lese Offenbarung 2, 8-11

 

8 Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: 9 Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist aber reich – und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern sind die Versammlung des Satans. 10 Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.

11 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tode.

 

(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Auflage 2017)

 

II

 

Dieser Text versetzt uns in die zweite Hälfte des 1. Jh. n. Chr.

Smyrna ist der griechische Name für die heutige Stadt Izmir in der Türkei. 

Diese Stadt im Westen Kleinasiens 

ist damals eine wichtige Handels- und Hafenmetropole des römischen Reiches.

 

Die Macht des römischen Reichs scheint in Stein gemeißelt.

Die Kaiser lassen sich als Götter verehren. 

Sie verlangen Loyalität.

Wer nicht mitmacht, fällt auf. 

Wer sich als Christ bekennt, muss mit Todesstrafe rechnen.

 

Und dieser Text versetzt uns zugleich ins 21. Jh.

Nordkorea, Afghanistan, Somalia, Sudan, Pakistan

sind die ersten fünf Staaten auf einer langen Liste,

in der Christinnen und Christen Verfolgung, Druck, Angst,

Gefängnis und Folger erleben. (1)

 

Die Christin Asia Bibi wurde bereits 2010 in Pakistan zum Tode verurteilt,

saß viele Jahre im Gefängnis, wurde mittlerweile freigesprochen,

muss sich aber an einem geheimen Ort verstecken,

weil sie sonst nicht sicher wäre im Land.

Noch ist nicht klar, ob sie aus Pakistan ausreisen darf.

 

Druck lastet auf diesen Menschen.

Sie brauchen Hilfe und Zuspruch,

damit sie sich nicht von Gott verlassen fühlen.

 

Johannes liegt es fern mit seinen Schriften,

Angst und Schrecken zu verbreiten.

Er möchte den Menschen Hoffnung und Trost geben.

 

Eine Begegnung, ein Brief, ein Anruf, ein Mensch,

der Anteil nimmt an meinem Ergehen, praktische Hilfe,

kann mir in bedrängender Lebenssituation wieder Halt geben,

damit ich Kraft finde, weiterzugehen.

 

Solch ein Brief ist auch unser Predigttext.

In den Szenen und Bildern können sich die Menschen wieder finden.

 

Wenn in der Gemeinde in Smyrna aus dem Brief

das Johannes vorgelesen wird, dann fühlen sich die Menschen verstanden.

 

Schreibt Johannes nicht von ihnen und ihrer Zeit?

 

Hat Johannes seine Botschaft verschlüsselt, wie einen Geheimcode,

um sie vor weiterer Verfolgung zu schützen,

weil ein Brief mit offenen Worten zu gefährlich gewesen wäre?

 

Die apokalyptischen Reiter, die über die Welt hinwegziehen,

erinnern die nicht an die römischen Kaiser,

die hoch zu Ross ein blutiges Gemetzel unter den Völkern anrichten?

 

Der Teufel, der einige von ihnen ins Gefängnis werfen wird.

Da hören sie das Wort „diabolos“ zu deutsch: Durcheinanderbringer.

 

Sind es nicht Durcheinanderbringer, 

die eine Atmosphäre der Angst verbreiten, 

in der Menschen sich gegenseitig verraten und verleumden?

 

Sind es nicht Durcheinanderbringer, 

die sich größenwahnsinnig an Gottes Stelle setzen,

die Menschen klein halten, ihnen die Zivilcourage

und den Mut nehmen wollen, um sie ihrer Macht zu opfern

und dadurch ihr ganzes Volk ins Unglück stürzen?

 

Arm und verloren stehen die Christen in Smyrna da,

und sie haben ja Angst vor dem Leiden

und sie spüren wie brüchig und löchrig ihre Treue sein kann,

und empfinden ihre ganze Ohnmacht -

und erhalten eine Botschaft voller Trost und Hoffnung:

 

„Das sagt der Erste und der Letzte der tot war und ist lebendig geworden:

Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber reich“

 

„Ich kenne deine Bedrängnis“

Ich weiß, wie es dir geht.

Du brauchst mir keinen starken Glauben vorspielen.

 

Und dennoch - du aber bist reich“

 

Wieso ist diese Gemeinde reich?

Sind wir auch reich in unseren Gemeinden?

 

Ja aber, nicht weil wir so viel Geld haben

nicht weil wir keine Sorgen und Ängste kennen.

oder weil wir uns stark und sicher in unserem Glauben fühlen.

 

„Du aber bist reich“

weil meine Treue zu dir, dich nie im Stich lässt,

sagt Jesus seiner Gemeinde.

 

Du aber bist reich, weil da Einer ist,

der dich kennt und sieht und sich dir zuwendet

in deiner Angst und in deinem brüchigen Glauben

und dich trotzdem niemals aufgibt.

 

Reich sind wir,

weil unsere Treue von seiner Treue lebt.

 

Reich sind wir,

weil uns eine Botschaft anvertraut ist,

die uns Hoffnung gibt und weil wir

diese Botschaft weitertragen zu den Menschen,

die unsere Hilfe brauchen.

 

Reich sind wir, weil wir die „Krone des Lebens“ bekommen sollen

 

„Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“

Das ist der bekannteste Vers in unserem Predigtabschnitt.

 

Man geht aufrechter, man hält sich gerade,

wenn man eine Krone auf dem Kopf trägt.

Man blickt nicht nach unten.

Man blickt nach vorne.

Die Christinnen und Christen in Smyrna hören zwischen den Zeilen auch, 

dass Johannes diese Weltmacht in Rom verspottet.

„Du aber bist reich“ - nicht der Herrscher in Rom

Du wirst die Krone tragen, nicht der Kaiser.

 

Er ist nicht der Erste und wird nicht der Letzte sein.

Am Anfang war nicht Rom, am Ende wird nicht Rom sein. 

Seine Macht ist begrenzt.

 

Der Erste und Letzte ist derjenige, 

der keine Macht hatte und doch die Krone trägt.

Der getötet wurde und lebt.

 

Diese Briefe tun den Menschen gut.

Sie können wieder aufatmen, 

Abstand gewinnen von ihrer Situation.

 

Es wächst der Mut, sich nicht unterkriegen zu lassen. 

Es wird wieder ein bißchen innere Freiheit spürbar.

Denn es wird nicht ewig so weitergehen.

 

Trostworte für alle Zeiten und Menschen.

 

III

 

Doch es gehört zu den dunkelsten Kapiteln der Geschichte,

dass sich die Durcheinanderbringer auch der trostvollsten

Texte bedienen, um sie zu politisch und religiös zu missbrauchen

und ihren Sinn zu verzerren.

Das darf nicht verschwiegen werden angesichts dieses Textes.

 

Dort heißt es: 

Die Gemeinde erfährt Schmähungen und Lästerungen 

von solchen, „die sich Juden nennen, aber keine sind“.

Welche Leute genau dahinter stecken, wird nicht gesagt.

Bissig und bitterböse wird diese Gruppe aber 

als „Versammlung des Satans“ bezeichnet.

 

In der früheren Lutherübersetzung wurde der Begriff 

noch mit „Synagoge des Satans“ übersetzt.

Synagoge ist das griechische Wort für „Versammlung“.

Als Christen denken wir jedoch dabei an das jüdische Gotteshaus.

 

Was ursprünglich eine polemische Bezeichnung für die Widersacher der Gemeinde war, 

wurde auf die Juden als Ganzes übertragen.

 

Es entstand ein furchtbarer Missbrauch dieses und auch anderer

Sätze der Bibel, die aus dem geschichtlichen Zusammenhang 

heraus gelöst worden sind, aber auch herausgelöst aus der Treue Gottes,

die sein Volk niemals aufgibt.

 

Die Juden wurden als „Söhne des Teufels, beschimpft,

als  Helfershelfer des Satans.

Die Juden als „Christusmörder“, 

von Gott verworfen, der die Christen an ihre Stelle gesetzt hat.

Dieses Denken durchzieht die gesamte Geschichte des Abendlandes,

in der die Juden immer wieder entrechtet, 

ausgegrenzt und verfolgt worden sind.

 

Am 9. November 1938 brennen in Deutschland die Synagogen

und die Katastrophe nimmt ihren Lauf.

 

Heute am Volkstrauertag denken wir in unserem Land 

an die Millionen Menschen, die durch den Rassenwahn

und die Naziideologie umgekommen sind:

 

Juden, Sinti und Roma,

Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen, 

Widerstandskämpfer aus Staat und Kirche, Andersdenkende

sind inhaftiert und hingerichtet worden.

 

Wir denken an die gefallenen Soldaten 

und an die vielen Opfer unter der Zivilbevölkerung

der letzten beiden Weltkriege in allen Völkern und Nationen.

 

Vertrauen und Treue sind ein großes Geschenk zwischen Menschen.

Wie oft wurden und werden sie für eigene Zwecke missbraucht!

 

Soldatische Pflichterfüllung, Fahneneid - 

Treue gegenüber Volk und Vaterland

das sind Vorstellungen und Forderungen, 

die eine ganze Generation geprägt haben. 

 

Der krönende Abschluss dieser Zeit war nicht die Krone des Lebens,

sondern ein Trümmerfeld mit vielen Toten

und ein bitteres Erwachen aus zerstörten Illusionen und Ideologien.

 

Wir erschrecken darüber,

dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sich wieder ausbreiten,

in unserem Land und auch in anderen Staaten unserer Welt,

wir denken an den Anschlag auf die Synagoge in Pittsburgh Ende Oktober.

Wir erschrecken, dass immer wieder im Namen Gottes,

Druck und Gewalt gegen andere Menschen ausgeübt wird.

 

Wo aber die Würde des Menschen nicht mehr geachtet und respektiert wird,

und das fängt ja oft im ganz Kleinen an,

Wenn Menschen gemobbt,  beleidigt, angegriffen werden,

wenn im Internet schamlos Hasskommentare verbreitet werden,

ist dies immer auch ein Angriff auf unsere Demokratie

und nicht zuletzt ein Angriff auf Gott selbst,

der jedem Menschen Würde und Wert gegeben hat.

 

 

IV

 

Aktueller denn je ist die Botschaft der Offenbarung,

die uns bis heute zuruft:

 

Am Ende steht nicht der Triumph der Gewalt,

sonst ist es noch nicht das Ende.

 

Am Ende steht nicht der Gott,

der der Gewalt die Krone aufsetzt.

Am Ende steht der Gott,

der den Weg des Glaubens und der Liebe krönen wird.

 

Dieser krönende Abschluss scheint zu uns hindurch,

wenn inmitten aller Bedrängnis Menschen auch berichten von:

 

Hoffnung, Vertrauen, Freundschaft, Vergebung,

Gemeinschaft, Mut, Widerstand, Entschlossenheit, medizinischer Hilfe, 

Solidarität und weltweite Gebete.

 

Wenn die Mächte der Welt und der Tod,

die uns alle das Fürchten lehren,

sich gebärden, als seien sie die Ersten und Letzten, 

denen wir ausgeliefert sind.

spricht Jesus Christus sein 

 „Fürchte dich nicht“ 

 

Wir brauchen geistige Ohren,

um diese Stimme inmitten der Kämpfe des Lebens

immer wieder neu zu hören und ihr zu folgen.

„Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.“

 

Amen

 

(1) Quelle: https://www.opendoors.de, Die 50 Länder des Weltverfolgungsindex wie sie von OpenDoors 2018 veröffentlich wurde

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