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Was ist los mit dir?

Predigt zu 1. Mose 4,1-16  (im Seniorenwohnheim)

41Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mithilfe des Herrn. 2Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann.

 

3Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. 6Da sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7Ist’s nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.

 

 8Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. 9Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? 10Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. 

 

13Kain aber sprach zu dem Herrn: Meine Schuld ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte.14Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. 15Aber der Herr sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der Herr machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. 16So ging Kain hinweg von dem Angesicht des Herrn und wohnte im Lande Nod.

 

(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Ausgabe 2017)

 

I

Liebe Gemeinde,

 

Die jüngere Schwester nimmt sich die letzte Erdbeere, die auf dem Teller liegt.

Umgehend fängt das Geschrei an: 

„Das ist so gemein! Die hat mehr bekommen als ich!“ wehrt sich die Ältere. 

„Stimmt ja gar nicht“, gibt die Andere zurück.

Und damit ist der traute Frieden beim Abendessen dahin. 

Ein handfester Krach zwischen den Beiden 

lässt die Stimmung kippen.  

In diesem Moment ist keine Spur mehr 

von Geschwisterliebe zu spüren. 

In diesem Moment wäre wohl jede der beiden 

am liebsten Einzelkind gewesen, 

hätte sich die andere auf den Mond gewünscht.

So ähnliche Szenen spielen sich manchmal am Esstisch mit kleinen Kindern ab.

Rivalität zwischen Geschwistern ist so alt wie die Menschheit.

 

Kain und Abel - ist das erste Geschwisterpaar, das in der Bibel genannt wird.

Am Ende der Geschichte ist Abel tot, von seinem Bruder erschlagen 

und Kain lebt in der Verbannung im Lande „Nod“

„Nod“ - das kann auch mit mit „Unruhe“ übersetzt werden.

 

Unruhig und getrieben, weg von seiner Heimat, weg von seiner Familie,

im Innern zerfressen von seiner Schuld lebt Kain fortan.

 

Dabei hätte alles so schön sein können:

Vater, Mutter, zwei gesunde Söhne - 

eine Bilderbuchfamilie aus der Urzeit sozusagen.

 

Kain ist Ackermann und Abel ist Jäger.

Beide sind sie fleißig und verdienen ihren Lebensunterhalt.

Beide spüren: Es ist ein Geschenk, wenn der Acker Erträge bringt,

wenn die Tiere gesund bleiben und sich vermehren.

Beide sind sie fromm und bringen Gott ihre Opfer.

 

Wie es damals so üblich war,

legen sie die ersten Früchte und die ersten Tiere vor den Altar.

Sie danken Gott mit ihren Gaben und erbitten seinen Segen für ihre Arbeit

 

II

 

Und dann geschieht das Unbegreifliche:

 

Gott sieht Abel und sein Opfer an, aber Kain und sein Opfer sieht er nicht an,

 

Wenn Gott das Opfer nicht ansieht,

dann bedeutet das in diesem Zusammenhang,

dass für Kain der Segen ausbleibt.

In der Landwirtschaft erleben wir das bis heute so:

Trockenheit, Überschwemmungen, Ungeziefer, Missernten, Seuchen bei den Tieren.

 

Kain fühlt sich von Gott zurückgesetzt,

der Erfolg seiner Arbeit bleibt aus, er hat kein gutes Erntejahr.

Hat er etwas falsch gemacht?

Das wird nicht gesagt, auch nicht,

dass Kain irgendeine besondere Schuld auf sich geladen hätte.

Aber wir erfahren etwas über seine Gefühle.

Ich versuche mir vorzustellen, was in Kain vorgeht:

„Ich rackere mich den ganzen Tag ab auf meinem Feld, 

gebe mir sie viel Mühe, aber meine Früchte sind mickrig und klein.

Dafür kann ich nichts. Ich weiß nicht, warum Gott mir keinen Segen schenkt.

Keiner sieht wie sehr ich mich sehne nach Anerkennung und Erfolg.

Auch Gott sieht mich nicht! 

Auch er tut nichts!

Ich fühle mich so ungerecht behandelt.

 

Abel aber fliegt alles zu.

Seine Tiere sind gesund und kräftig.

Alles gelingt ihm. Die Eltern sind stolz auf ihn.

Warum er? Warum nicht ich?

 

Mein kleiner Bruder wird verhätschelt.

Eingebildet ist er, hält sich für was Besseres!

Das ist so gemein!

Das macht mich so wütend! Wie sehr ich ihn hasse!"

Tiefe menschliche Erfahrungen spiegeln sich in dieser alten biblischen Geschichte.

 

Die einen stehen auf der Sonnenseite des Lebens,

andere werden vom Schicksal benachteiligt.

 

Den einen geht es gut. Denen fällt alles zu,

Andere mühen sich den ganzen Tag, haben aber wenig Erfolg.

Die einen heimsen die Lorbeeren ein,

die anderen fühlen sich unfair behandelt von den Eltern,

von anderen Menschen, von ihren Vorgesetzten,

von ihrem Schicksal, von Gott.

 

Die einen leben viele Jahre gesund und haben eine glückliche Familie,

die anderen werden krank oder kämpfen mit Einsamkeit oder einem traurigen Gemüt.

Bis heute erscheint uns Gott manchmal so unbegreiflich und fremd,

weil er dies alles zulässt.

Die Geschichte beantwortet uns nicht die Frage, warum das so ist.

 

Sie zeigt uns aber:

Wir müssen uns den Herausforderungen stellen,denen wir im Leben begegnen

und Verantwortung für unser Tun übernehmen.

 

Sie hilft uns bei der Frage:

Wie gehen wir damit um, wenn uns unser eigenes Schicksal so unfair vorkommt?

 

III

 

In Kains Herzen beginnt eine giftige Wurzel zu wuchern.

Sogar an seiner Haltung und in seinem Gesichtsausdruck

lässt sich seine Seelenlage ablesen.

 

„Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick.“

Mit versteinertem, verhärteten Gesichtsausdruck geht er umher

und mit Augen, die an seinem Bruder vorbei blicken.

 

Neid und Kränkung gehören zu den stärksten, negativen Gefühle, die wir kennen.

Sie können einen Menschen zerstören.


Doch in der Geschichte zeigt sich nun, 

dass Kain eben doch von Gott gesehen wird.

Wenn auch sonst niemand wahr nimmt, 

welche Gefühle Kain mit sich herumschleppt,

Gott sieht ihn ganz genau und wendet sich ihm zu:

 

„Warum ergrimmst du? Warum senkst du deinen Blick?“

 

Wie geht es dir gerade?

Was macht dich so wütend, dass du dich kaum beherrschen kannste?

Was macht dich so traurig, dass du dich am liebsten nur noch verkriechen möchtest?

 

Sag mir, was los ist mit dir

Erzähle mir, was dir zu schaffen macht und was dich so sehr kränkt.

Lass es raus, bevor du zuschlägst und deinem Bruder etwas antust, 

was du nicht mehr gut machen kannst.

 

Ihm, Gott, hätte Kain seine Vorwürfe und Bitterkeit hinschleudern sollen.

 

Der Gott, von dem er denkt, er übergeht und benachteiligt ihn,

wäre die richtige Adresse für seinen Zorn gewesen.

Wieviel Leid wäre dann erspart geblieben!

 

Wie gut tut das, wenn ich mich aussprechen kann,

wenn ich auch die zornigen, giftigen Gedanken nicht für mich alleine behalten muss.

Wenn jemand an meiner Seite ist, 

der mich mit gütigen Augen anschaut

und mich in die Arme schließt, 

der meinen Schmerz und meinen Zorn versteht.

 

Das wäre auch der Weg gewesen für Kain,

um sich mit meinem Geschick auszusöhnen 

und die lauernde Sünde zu beherrschen.

 

IV

 

Aber Kains Herz bleibt hart.

Er lebt seine bitteren Gefühle an seinem Bruder aus und tötet ihn.

Wie nüchtern ist die Bibel:

Nicht immer schaffen wir es, uns zu beherrschen.

Immer wieder werden Menschen schuldig aneinander,

und können sich nicht mehr in die Augen blicken.

Vermutlich könnten Kriminalbeamte einiges darüber erzählen,

wie viele Verbrechen aus Neid und verletzten Gefühlen begangen werden,

dass Fäuste geballt werden und Menschen aufeinander losgehen,

einander töten aus rasender Eifersucht und Wut.

Totschlag mit Blicken und mit Worten sind im Alltag allgegenwärtig.

 

Doch wieder wird Kain von Gott gesehen.

Auch nach seiner Tat gibt sich Gott große Mühe mit ihm

und sucht die Beziehung zu ihm:

 

„Wo ist dein Bruder Abel?“, fragt ihn Gott

 

Sag mir, was du getan hast.

Übernehme Verantwortung für dich und dein Verhalten.

Stehe zu deiner Schuld.

 

Wieder verweigert Kain das Gespräch mit Gott.

„Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ fragt er trotzig zurück

 

Dabei kann es nur eine Antwort auf diese Frage geben:

Ja, das sollst du! Du sollst deines Bruders Hüter sein

und die Hüterin deiner Schwester.

 

Genau das sollst du, nicht nur auf dich schauen,

sondern auch auf deinen Bruder und auf deine Schwester.

Wir merken es ja selbst, wie gut es uns tut,

wenn wir aufeinander achten:

 

Mit offenem freien Blick einander in die Augen schauen,

einander Anteil geben an dem, wie es uns geht

und im Herzen offen bleiben füreinander.

Dann spüren wir etwas davon, dass auch Gott uns sieht

und nach uns fragt.

 

Kain entzieht sich dem Gespräch mit Gott.

Er wird zum unruhigen Wanderer, rastlos und unstet.

Wie ein Fluch kann die Schuld auf einem Menschen lasten

und ihn nicht mehr zur Ruhe kommen lassen.

Und Gott?

Er hört immer noch nicht auf, sich um Kain zu kümmern.

Er malt Kain ein Schutzzeichen auf die Stirn.

Auch der schuldig Gewordene darf nicht getötet werden.

Die Rache an Kain bleibt den Menschen verwehrt.

Auch sie dürfen ihren Hass nicht ausleben.

Sein Leben gehört Gott, nicht der menschlichen Willkür.

 

Das Kainsmal wird zum Zeichen, 

dass Gott nie von uns Menschen lässt sondern „ja“ zu uns sagt,

auch wenn wir uns ihm verweigern und weggehen,

wenn wir trotzig sind und nicht reden wollen.

 

Die Geschichte ist damit noch nicht in Ordnung.

Sie geht weiter mit uns,

mit den kleinen und großen Geschwistern am Esstisch,

mit unseren Brüdern und Schwestern in der Gemeinde,

mit den Menschen, denen wir begegnen.

 

Gott hört nicht auf, uns anzusprechen.

Er bleibt unser Hüter, sieht uns an, geht uns nach,

damit auch wir einander anschauen und aufeinander acht geben. 

 

Amen

Literatur

Gezeichnet und Geschützt in: Bibelarbeit in der Gemeinde, Band 5, Urgeschichten,  Ökumenischer Arbeitskreis für Bibelarbeit, S 111-137, F. Reinhardt Verlag Basel, Benziger Verlag Zürich-Köln 1985

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