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In Gnade gewickelt

 

Predigt zu Römer 1,1-7  (2. Weihnachtsfeiertag)

1 Paulus, ein Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert zu predigen das Evangelium Gottes, 2 das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der Heiligen Schrift, 3 von seinem Sohn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch, 4 der eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist, der da heiligt, durch die Auferstehung von den Toten – Jesus Christus, unserm Herrn. 5 Durch ihn haben wir empfangen Gnade und Apostelamt, den Gehorsam des Glaubens um seines Namens willen aufzurichten unter allen Heiden, 6 zu denen auch ihr gehört, die ihr berufen seid von Jesus Christus.

7 An alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

 

I

Liebe Gemeinde

Keine Weihnachtsstimmung, keine Krippe, keine Hirten, 

keine Engel, keine Könige aus dem Morgenland, 

keine Geschichte mit anschaulichen Bildern kommt uns entgegen, 

sondern die ersten sieben Verse des Römerbriefs haben wir gehört.

 

Im griechischen Text, ein einziger langer Schachtelsatz, 

prall gefüllt mit Theologie, steilen Formulierungen

und trocken anmutender Dogmatik.

Martin Luther sagte einmal: Wir müssen beim Bibellesen die Nüsse knacken,

damit wir den nahrhaften Kern essen und schmecken können.

 

Ich erinnere mich dabei an eine Geschenkeaktion aus meiner Jungscharzeit.

Das größte Geschenk habe ich damals aus dem Krabbelsack gezogen,

einen großen Karton ausgepackt, und in dem Karton war ein kleinerer Karton

und noch ein kleinerer Karton und schließlich ganz innen drin ein

kleines Tütchen mit Süßigkeiten.

 

Gott hat sein Weihnachtsgeschenk ebenso gut verpackt.

Die äußere Verpackung ist unsere Welt,

und darin liegt das kleine Land Israel,

das kleinste unter den Völkern wird es in der Bibel bezeichnet.

In diesem kleinen Land

entdecken wir den kleinen Ort Bethlehem 

und schließlich einen Stall, wahrscheinlich eine Höhle,

in der Maria ihr Kind zur Welt bringt.

Sie wickelt ihren Sohn in Windeln und legt ihn eine Futterkrippe.

Die Windeln sind die letzte Verpackung für Gottes Geschenk.

 

Nicht sofort erschließt sich dieses Geschenk.

Nicht sofort erschließt sich das, 

dass im Krippenkind einer ärmlichen Familie

im entferntesten Winkel der Welt, 

Gott der Welt sein größtes Geschenk gemacht hat.

 

Die Bedeutung dieses Geschenks will im Herzen erfasst 

und mit in unseren Alltag genommen werden.

 

Geboren werden soll dieses Kind 

auch im innersten Winkel unseres Herzens

und ausstrahlen in unser Leben.

 

„So lass mich doch dein Kripplein sein;

komm, komm und lege bei mir ein dich und all deine Freuden“ 

singen wir nachher mit Paul Gerhardt 

 

In unserem Predigttext geht es Paulus 

deshalb nicht um die Umstände von Jesu Geburt.

Es geht ihm darum, dass der Geborene ankommt in unserer Welt,

dann wenn unsere Tannenbäume abgeräumt sind

und wenn der Alltag wieder einkehrt, 

der uns manchmal auch so unsanft wieder überfällt.

Was bleibt von Weihnachten als Wegzehrung übrig?

 

II

 

Durch unseren Predigttext heute machen wir einen Sprung

direkt vom Kind in der Krippe hinein in die Völkerwelt

zur Verkündigung des Evangeliums in alle Welt.

Wir sind direkt bei den ersten Christinnen und Christen in Rom.

 

Wir müssen diesen Text ebenfalls auspacken,

fangen wir mit der äußeren Hülle an:

Die Weltstadt Rom.

Dort sticht das Evangelium von Jesus Christus geradezu in ein Wespennest.

Das Römische Reich strotzt vor Macht und Kraft. 

Cäsar wurde nach seinem Tod in die Reihe der Götter erhoben.

Sein Nachfolger Augustus nennt sich fortan „Sohn des Vergöttlichten“

und umgab sich wie die folgenden Kaiser auch mit einer Aura göttlicher Macht.

 

Inmitten dieser Stadt finden wir eine Gemeinde aus Juden

und den neu dazu gekommenen Heiden, die an Jesus Christus glauben.

Zwischen beiden Gruppen kommt es zu Spannungen.

 

Spannungen können nicht ausbleiben, wenn Menschen 

unterschiedlicher religiöser und kultureller Prägungen  aufeinanderstoßen.

Wir merken das auch bei uns. 

Die Vorstellungen dessen, 

was Christinnen und Christen erlaubt ist, 

gehen oft weit auseinander.

Die Vorstellung dessen, wie die Bibel auszulegen ist,

und wie das richtige Bekenntnis zu Jesus Christus auszusehen hat,

ist in der Kirchengeschichte schon immer  

Anlass für Auseinandersetzungen und Streit gewesen,

die bis heute in unsere Kirche und Kirchen hineinragen

und heftige Debatten provozieren.

Paulus ist es ein Anliegen, zu zeigen,

dass die Unterschiede,  die zwischen den Gemeindegliedern in Rom bestehen, 

die Einheit zwischen ihnen nicht ausschließt.

 

Das Evangelium ist nicht so unmenschlich,

dass es verlangt, lieb gewordene Traditionen aufzugeben oder anzunehmen,

wenn es der eigenen Prägung völlig zuwider läuft.

 

Paulus berührt vielmehr mit seinem Brief  den innersten Kern des Evangeliums.

Im Evangelium sieht er die Kraft, die Menschen in der Tiefe verbindet

über alle Unterschiede hinweg;

zumal der römische Staat im Zweifel beide verfolgen lässt,

die Juden und die neu dazugekommenen Heiden.

III

 

Die nächste Verpackung, die wir auswickeln müssen

sind deshalb die Worte des Paulus selbst.

In seine menschlichen Worte,

die er in konkreter Zeit an die Gemeinde in Rom schreibt,

ist das Evangelium eingewickelt.

 

„Paulus, ein Knecht Jesu Christi“, so stellt er sich vor,

kann auch übersetzt werden mit "Sklave Jesu Christi".

So negativ dieser Ausdruck „Sklave“ in unseren Ohren klingt -

wir verbinden damit bedingungslose Unterwerfung,

Menschenrechtsverletzung und menschenverachtende Ausbeutung -

so provozierend und herausfordernd klingt er auf der Folie des römischen Reichs:

Paulus ist nicht der Sklave Roms, er ist der Sklave Jesu Christi.

 

Während politische Weltherrscher damals in die Nähe der Götter rückten, 

die Mächtigen sich Sklaven hielten und Unterwerfung forderten,

proklamierte eine kleine religiöse Gruppe im großen römischen Reich 

Jesus Christus als Herrn und Gott  „eingesetzt als Sohn Gottes in Kraft“

 

Nicht Cäsar, nicht Augustus, nicht seine Nachfolger, sondern Jesus Christus. 

Ihm schulden sie Gehorsam, nicht dem Kaiser.

 

Während wir auf unserer Welt nicht mehr den römischen Kaisern huldigen, 

dafür aber andere Götter bei uns eingezogen sind, 

die in Abhängigkeit bringen und versklaven,

legt uns Gott ein Kind in die Krippe und sagt:

Seht, da ist euer Herr.

Ein Kind, das eure Liebe braucht.

Ein Kind, das bedingungslos vertraut,

egal ob die Eltern Obdachlose sind oder Fürsten.

 

Während wir unsere Erde und unsere Ressourcen gnadenlos ausbeuten, 

während Menschen Profit schlagen aus Waffenverkäufen und Krieg

ungeachtet des Elends unzähliger anderer

- im Jemen stehen Millionen von Menschen vor einer Katastrophe -

klingen uns noch die Worte der Weihnachtsgeschichte im Ohr:

„Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“

und hören wir jetzt bei Paulus die Worte vom 

„Gehorsam des Glaubens, der  aufgerichtet werden soll".

Gehorsam des Glaubens - 

würde er doch noch viel mehr gelebt auf unserer großen Welt

und in meiner eigenen kleinen Welt!

 

Während wir auf unserer Welt in gesellschaftliche Zwänge

und Abhängigkeiten verstrickt sind,

während der Wert des Menschen  an seiner Wirtschaftlichkeit gemessen wird,

bei Krankenkassen und Versicherungen in eine Risikoklasse eingestuft 

im Krankenhaus als belastender Kostenfaktor oder als Patient, der Gewinne bringt,

im Unternehmen als junger, gesunder und dynamischer Leistungsträger gefördert 

oder als nicht mehr so ganz leistungsfähiger Mitarbeiter aufs Abstellgleis gesetzt,

in der Schule auf Leistung optimierte Schülerinnern und Schüler herangezogen,

redet Paulus seine Gemeinde als 

„Geliebte Gottes“ an und wünscht ihnen Gnade und Frieden.

 

Jenseits all eurer Gaben und Kräfte und Erfolge,

steht jene Gnade, die sagt: Du bist geliebt.

Jenseits allen menschlichen Scheiterns, 

aller menschlichen Tragödien im Leben

sagt diese Gnade immer noch:

Jetzt erst Recht. Du bist geliebt.

 

 

IV

 

Die Gnade liegt im Zentrum unseres Päckchens,

nicht nur eine kleine Süßigkeit

sondern das Grundnahrungsmittel überhaupt,

das das Evangelium zur frohen Botschaft macht.

Dieses alte Wort müssen wir deshalb ebenfalls auspacken.

 

Wir finden dieses Wort auch in der alten Anrede

„Gnädiger Herr“, „Gnädige Frau“.

Etwas schmunzelnd reagieren wir heute 

auf diese antiquierte Form der Höflichkeit.

 

In menschlichem Zusammenhang verbinden wir damit eine großzügige Geste

angesichts derer der untergebene Mensch ausgeliefert bleibt der Großzügigkeit

- odereben auch Gnadenlosigkeit - seines Vorgesetzten.

 

Wir denken wieder an die Kaiser.

Sie können den Daumen heben oder senken,

Gnade gewähren oder versagen,

über den Tod oder das Leben eines Menschen entscheiden.

 

Für Paulus ist der „gnädige Gott“

jedoch die innerste Triebfeder seines Wirkens.

Er lässt ihn zu dem Menschen werden, der er ist.

„Aus Gnade bin ich, was ich bin“, sagt er an anderer Stelle.

 

Diese Gnade arbeitet sich durch alle Schichten 

seines Wesens und Lebens bis in sein Herz hinein.

Sie ist diese ihm fremde, ganz andere Kraft,

gegen die er sich wehrte und abgrenzte

bis er auf seinem Weg nach Damaskus die Worte hört:

„Saul, Saul was verfolgst du mich?“ 

und erfährt, was ihn im Tiefsten trägt und hält,

wenn ihn sonst nichts mehr halten kann:

 

Nicht der Hass, nicht der Stolz,

nicht die Gnadenlosigkeit mit der er gegen die Menschen vorging

sondern die Liebe, die zu ihm spricht

und ihn menschlich werden lässt mit sich selbst und anderen,

die ihn frei spricht von seiner Schuld,

ihn beruft und aussondert zum Dienst am Evangelium.

 

V

 

Und wie sich diese Gnade von außen nach innen gearbeitet hat,

arbeitet sie sich jetzt wieder von innen nach außen.

 

Ein  „Berufener“ und „Ausgesonderter“ ist Paulus fortan.

„berufen und ausgesondert  zu predigen das Evangelium“

 

Während wir Menschen aussondern, 

was keinen Wert für uns hat und Trennlinien ziehen,

wenn wir uns bedroht fühlen von anderer Kultur und anderem Glauben,

Während Paulus die Christen aus seinem System aussonderte,

weil er spürte, dass dadurch sein eigenes Glaubensgefüge ins Wackeln gerät,

fängt auch Gott an auszusondern und sagt:

 

Du gehörst mir.

Niemandem sonst.

Nicht den Mächten, nicht den Ängsten,

die dich fertig machen wollen.

Nicht deinem Hass, nicht deinem Stolz

und auch nicht deiner Schuld.

Ein Sklave, ein Knecht bist du - und doch frei.

Mit der höchsten Freiheit begabt, in die Welt zu gehen, das Evangelium

zu leben und zu predigen,

 

das „Evangelium Gottes … von seinem Sohn, 

der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch“

 

Nicht vom Himmel gefallen.

sondern gewachsen im Leib der Maria, 

wie jeder Mensch dieser Welt im Leib seiner Mutter.

 

Ein jüdisches Kind seiner Zeit,

verwoben mit der Geschichte seines Volkes

und mit Wurzeln, die bis zu König David zurückreichen.

 

Es ist, als wolle Paulus den Heiden in Rom

dies besonders ins Bewusstsein schreiben -

und wie notwendig ist diese Erinnerung bis heute:

Vergesst das nie.

Dort im hintersten Winkel im jüdischen Land

in Bethlehem bei diesem jüdischen Kind

liegen die Wurzeln eures Glaubens.

 

Diese Botschaft sticht auch heute noch in ein Wespennest:

 

Unauflöslich seid ihr als Christinnen und Christen

mit dem jüdischen Glauben verbunden;

durch diesen Jesus von Nazareth

hineingenommen in den Glauben an den Gott Israels.

und in die Hoffnung auf Erlösung und Befreiung

von den Mächten und Gewalten dieser Welt,

wie es schon die Propheten verheißen haben.

 

Wenn Gott es aber gefallen hat,

dieses Kind in der Krippe

zum Geschenk zu machen für die ganze Welt,

dann gibt es keine Abgrenzung mehr.

dann gibt es nur noch Öffnung für das Evangelium,

das hinausgetragen wird zu allen Menschen,

ausgepackt wie ein Weihnachtspäckchen.

 

Und wenn sich noch so viele Unterschiede zwischen Menschen

herausbilden, an Status, an Ansehen, an Geld und Macht,

an Kultur, an Religion, an Glaubenstraditionen.

 

Geboren sind wir alle.

Keiner und keine verdankt sich sich selbst.

Menschlicher geht es nicht, als geboren zu werden.

Alles, was wir sind, haben wir empfangen.

 

Dem Ausgrenzen und Aussondern von Menschen,

dem Richten und Werten ist der Boden entzogen.

Die Gnade, die uns Gott erweist,

verbindet und heilt und führt uns zusammen,

in dem, was Menschen im Tiefsten suchen und sehnen:

Lieben und geliebt zu werden.

 

VI

 

Noch einmal mit Paul Gerhardt:

 

„Da ich noch nicht geboren war, 

da bist du mir geboren.

Eh ich durch deine Hand gemacht,

da hast du schon bei dir gedacht,

wie du mein wollest werden“

 

Wie du mein wollest werden

und wie wir zu den Deinen werden.

Wo die Gnade mich berührt,

da begreife ich auf einmal, wer ich bin.

Nicht ungewollt.

Nicht unbrauchbar.

Nicht wegsortiert und zur Seite gestellt.

Vielmehr:

Gewollt.

Brauchbar.

Ausgesondert und berufen 

zum Dienst am Evangelium,

ein Licht in die Welt zu tragen,

dorthin wo es sonst ganz dunkel wäre;

in  Gnade gewickelt wie in einen Schal, der mich wärmt,

damit ich diese Wärme weitergeben kann.

Gegen alle Kräfte, die propagieren:

„Gnadenlos“ sagt sie:

Du bist geliebt. Kind Gottes.

Wahrhaftig Sohn Gottes.

Wahrhaftig Tochter Gottes.

 

„Gnade sei mit euch und Friede von Gott, 

unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“

Amen

 

 

____

 

Literatur:

Hans-Ulrich Gehring, Von reiner Empfängnis oder: Wie schön, dass du geboren bist

in: Göttinger Predigtmeditationen zu Römer 1,1-7 zum 26.12.2018, Christfest II

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