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Wettlauf zwischen Glaube und Zweifel

 

Predigt zu Hebr 11,1-2; 12,1-3

11 1Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. 2In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen. 

12 1Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, 

lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt. Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, 2und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. 3Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.

(Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Ausgabe 2017)

 

 

I

 

Schwitzend, mit bloßem Oberkörper kämpfen sich die Läufer durch die Arena.

Durchhalten ist die Parole.

Immer weiter laufen, auch wenn die Luft knapp wird,

die Beine aufgeben wollen, die Muskeln schmerzen

und die Zunge am Gaumen klebt.

„Lasst uns laufen mit Geduld in den Kampf, der uns bestimmt ist“

Unser Predigttext vergleicht unser Leben mit einem Wettlauf.

 

Wie treffend passt dieses Bild in unsere Zeit.

 

In unserer aktuellen Lage fragen wir: Wer ist schneller? 

Das Virus und seine Mutationen? 

Oder wir mit unseren Maßnahmen, die wir ergreifen?

 

Geduld und Disziplin und Ausdauer und viel Training 

werden vorausgesetzt für den Erfolg eines Wettlaufs.

 

Wie oft aber fehlen in dieser schwierigen Zeit,

die Kraft und die Ressourcen zum Weitermachen.

Die Existenzen vieler Selbständigen zerbrechen.

Menschen kämpfen um ihr Leben,

wenn das Virus mit aller Härte zuschlägt.

Schülerinnen und Schüler bangen um ihre Zukunft.

Eltern zerreiben sich zwischen Beruf und Betreuung ihrer Kinder.

Müde und matt und ausgelaugt sind viele Menschen

angesichts des Wettlaufs, der ihnen das Leben auferlegt hat.

 

„Was macht Gott während Corona?“ 

Diese Frage prangte dick und fett auf der Bildschirmseite einer Onlineumfrage

bei einer Konfirmandengruppe, die ich eine Weile betreute.

 

Was macht Gott?

Macht er was? Oder ist er machtlos?

Sein Machen, seine Macht -

sind sie nicht unscheinbar, verborgen, 

versteckt im Kuddelmuddel und Wirrwarr unserer Welt?

 

Kein geringerer als Dietrich Bonhoeffer konnte einmal sagen:

„Die andauernde Unsichtbarkeit Gottes macht kaputt....

dies wahnwitzige dauernde zurückgeworfen werden auf den unsichtbaren Gott selbst -

das kann doch kein Mensch mehr aushalten“ (1)

 

„ Der Glaube ist ein Nichtzweifeln an dem, was man noch nicht sieht“,

heißt es in unserem PT:

Wir sehen Gott nicht.

Es gibt keine Beweise, die die Richtigkeit des Glaubens belegen.

 

Unser Glaube ist immer wieder  angefochtener Glaube,

der leidet an Gott und keine Antwort kennt auf viele Fragen.

Auch in meinem Glauben bin ich nicht davor gefeit, müde und matt zu werden.

 

Glaube und Zweifel treten gegeneinander an - 

wie zwei Läufer beim Wettkampf.

 

II

 

Wenn wir die Sportnachrichten verfolgen, staunen wir,

zu welch großartigen Leistungen, sich Menschen herausfordern lassen,

welche Entbehrungen sie auf sich nehmen, um eine Medaille zu ergattern.

„Mir darf nicht der kleinste Fehler unterlaufen, sonst habe ich keine Chance!“

„Ich muss absolut perfekt sein, sonst kann ich nicht siegen“,

so die Stimme eines Spitzensportlers.

 

Doch was im Sport seinen Platz hat, versetzt beim Glauben in Beklemmung.

 

Der christliche Glaube, eine Anstrengung, 

bei der die meisten eben keine Medaille holen, weil ihr Einsatz zu gering ist?

Der kleinste Fehler - und ich bin draußen?

Ein Wettlauf des Glaubens, bei dem wir gegeneinander antreten?

Was meinen Glauben oft müde und matt macht, ist ja gerade dieser Gedanke, 

ich müsste alles alleine schaffen und alle Kräfte mobilisieren.

Ich muss mich immer zusammenreißen und immer im Training sein.

 

Der Glaube ist aber keine Leistung, die prämiert wird.

Glaubende treten auch nicht gegeneinander an,

obwohl es vielleicht manchmal den Anschein hat…

 

Glaubende bleiben stehen, wenn einer oder eine gefallen ist, 

helfen einander auf, damit keiner auf seinem Weg auf der Strecke bleibt,

helfen einander die Lasten zu tragen, die uns beschweren und hemmen,

damit das Leben wieder leichter und freier wird

und wir gemeinsam ans Ziel kommen.

 

Auf einem Kalenderblatt habe ich kürzlich den Satz gelesen:

„Ein Leben aus Glauben, macht einen unsichtbaren Gott sichtbar“

 

Der Verfasser des Hebräerbriefs nennt  Vorbilder des Glaubens.

Er nennt sie eine „ Wolke von Zeugen“: 

 

Große Namen stehen da:

Noah: Da baut einer ein Schiff, obwohl noch kein Wasser in Sicht ist.

Abraham: Da lässt sich einer losschicken, ohne das Ziel zu kennen.

Mose: Da irrt einer durch die Wüste, weil Gott Bilder von Milch und Honig malt. (2)

Rahab: Da rettet eine die israelitischen Kundschafter und riskiert dabei ihr Leben.

 

Im Judentum nannte man diese Menschen auch „Argumente für Gott“ -

also Menschen, die ihr Leben so gestalten, dass andere erstaunt fragen:

Woher nimmst du deine Geduld und  deine Hoffnung?

Woher nimmst du die Kraft für das manchmal schier unbegrenzte Ertragen

von Frust und Bitterkeit und Not und Widerständen? (3)

 

Wo gibt oder gab es  Menschen in meinem Leben,

die mir Vorbild sind im Glauben und Leben?

Die mich ermutigen, dass ich in Krisen nicht aufgebe?

Die mir geholfen haben, meinen eigenen Weg  zu finden?

Die mich geduldig begleiten und meine Fragen ernst nehmen?

 

Ich möchte eine kurze Pause einlegen und bei einem musikalischen Zwischenspiel

Gelegenheit geben, über diese Fragen nachzudenken.

 

- musikalisches Zwischenspiel -

 

III

 

„Lasst uns … aufsehen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens,“

ermuntert uns der Predigttext.

Statt des ersehnten Friedenskönigs auf dem Thron,

wird die jubelnde Menge, die ihn beim Einzug in Jerusalem

mit Palmzweigen empfängt,

bald den Gekreuzigten hängen sehen.

Statt eines mächtigen, unsterblichen Herrschers

werden sie ihn sehen als leidenden und sterblichen Menschen.

Statt eines strahlenden Glaubenssieges

wird der Glaube der Jünger  bei diesem Anblick in die Knie gehen,

alles wofür sie gekämpft und gehofft haben, scheint verloren

„Mit lautem Schreien und mit Tränen“ 

bringt Jesus sein Leiden vor Gott, heißt es in Hebr 5,7;

Ohnmacht und Angst am eigenen Leib spürend,

sein Leiden nicht unter dem Teppich einer frommen Harmonie versteckend,

und keine lautlose Unterwerfung unter Gottes Willen fordernd.

 

"Aufsehen auf Jesus",

der Gott nicht zu einem Willkürherrscher macht,

den man nicht lieben, dem man nicht vertrauen kann,

der einen Gott sichtbar macht, zu dem ich schreien, klagen, 

den ich anklagen, mit dem ich kämpfen darf -

und von dem ich Antwort erwarten darf.

Von dem ich erwarten darf, dass er mir wieder Hoffnung und Freude schenkt.

 

"Aufsehen auf Jesus",

der in seiner dunkelsten Stunde noch immer die Beziehung

zu  Gott sucht, den er nicht  sieht und nicht mehr spürt.

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

„Gott, wo bist du?  Die Anforderungen des Lebens gehen über meine Kräfte. 

Ich kann nicht mehr.“

„Gott, was machst du, während wir hier auf der Erde einem fiesen Virus ausgesetzt sind?“

 

Die sichtbare Welt und der unsichtbare Gott

rücken in solchem Gebet zusammen.

 

Und es ist, als würde er uns zurufen:

Wenn du mich suchen und finden willst

dann mittendrin in deinem Leben und deiner sichtbaren Welt

 

All die Bilder, die hässlich und gemein sind, unerträglich und furchtbar -

schreien sie nicht zu mir bis zum Himmel?

Bin ich  nicht da mittendrin, 

verbunden mit dem Kreuz jenes unschuldig Gehenkten 

verbunden mit dem Schicksal aller Leidenden dieser Welt?

Mitfühlend mit all jenen, die leiden,

barmherzig mit jenen, die irren,

nahe denen, die zerschlagen sind und nicht mehr glauben können

 

Rufen diese Bilder aber nicht auch euch ins Ohr:

Werdet empfindsam und empathisch gegenüber

den Menschen, die eure Hilfe brauchen.

Legt ab, was hässlich und gemein ist,

„die Sünde, die euch beschwert“, 

damit mein unsichtbares Wesen wieder sichtbar wird.

 

All die Bilder, die euer Herz berühren und erfreuen -

die großartige Schönheit der Natur, die jetzt wieder erwacht,

die Pflanzen, die Tiere, Wasser, Seen und Wälder -

Bin ich nicht auch da mittendrin?

Sind sie nicht wie ein Fußabdruck, den ich hinterlasse?

 

Euer Wissen und Können, euer Verstand,

all die Erkenntnisse der Wissenschaft -

sind das nicht große Gaben, durch die ihr teilhabt an mir selbst?

Nutzt diese Gaben zum Wohl der Menschen und der Welt, in der ihr lebt.

 

IV

 

Der Verfasser unseres Predigttextes sieht im Glauben eine feste Zuversicht,

die uns hilft, auf unserem Lauf durch das Leben.

 

Jesus geht uns auf diesem Weg voran.

Am Ende dieses Weges findet er den Gott,

der ihm  die Medaille und einen Ehrenplatz an seiner Seite gibt.

Der die Niedrigen erhöht und die Gewaltherrscher entthront

Der die Gerechtigkeit ins Recht setzt

und Unrecht und Gemeinheit und Grausamkeit

und Sünde und Tod zurück schickt ins Grab, da wo sie hingehören

 

Und wenn mein Weg ganz dunkel ist?

Dann gehe ich einen Schritt in die Dunkelheit.

Und dann gehe ich den nächsten Schritt, immer nur einen, nicht mehr.

Und ich gehe solange, bis ich sehe, was vorher unsichtbar war:

Der dunkle Tunnel ist nicht endlos.

Am Ende scheint ein Licht.

Am Ende wartet wieder das Leben auf mich.

 

Und ich bleibe stehen, blicke zurück und entdecke erstaunt:

Ich habe den Zweifel in diesem Wettlauf überholt.

Denn ich bin nicht allein gewesen.

Menschen waren da und sind da.

Gott war da und ist da,

unsichtbar, oft nicht spürbar, oft nicht fühlbar

aber wie das verborgene Fundament, das trägt,

wie die unsichtbare Luft, die mich umgibt,

wie der Atem, der mich durchströmt,

wie die Liebe, die mich beflügelt,

wie der Urgrund allen Lebens.

"In ihm leben und weben und sind wir". (4) 

Deshalb: 

Lasst uns um Gottes willen Vertrauen haben und Mut!

 

Amen

_______

Anmerkungen

(1) Dietrich Bonhoeffer, Gesammelte Schriften I, S. 60ff

(2) Formuliert nach: Dorothee Wüst, Predigtimpulse zu Hebr 11,1-2; 12,1-3 in Deutsches Pfarrerblatt,

2/ 2021

(3) Formuliert nach: Klaus Berger, Kommentar zum Neuen Testament, Gütersloher Verlagshaus, 2. Auf. 2012, S. 882f

(4) Vgl. Paulus in Apg. 17,27

 

Literatur

Eva Meinecke, Auslegung zu Hebr 12,1-3  in:  Calwer Predigthilfen Reihe VI/I, Calwer Verlag Stuttgart 1995, S. 192-199

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